01 Juni 2025

Provozierung

Der etwas reisserische Titel dieses Beitrags adressiert nur drei Probleme von vielen, denen sich private Weinbaubetriebe gegenübersehen.

Klimawandel

Ob der Klimawandel menschengemacht ist oder nicht, Windräder anstatt Kernkraft (nur für DE) und Wärmepumpen uns vor der Auslöschung bewahren oder nicht, wir wissen es nicht. Was wir wissen: wärmeliebende südeuropäische Rebsorten machen sich in den Sortimenten hiesiger Weingüter breit, unsere südenglischen Nachbarn produzieren annehmbare Sekte, und Riesling, der es kühler mag, könnte in unbestimmter Zukunft in Schweden oder Schottland angebaut werden - Versuche dazu laufen. Andere Sorten werden über die Klinge springen, genau wie Anbaugebiete, die im Moment noch ihre Rebzeilen mit Plastikplanen vor der Sonne schützen und wo bald (oder jetzt schon) Kakteen wachsen. Die brauchen im Gegensatz zu vitis vinifera kaum Wasser. Andererseits lehrt uns die Geschichte des Weines, daß zahlreiche Rebflächen zwischen ca. 1500 und 1800 wegen rapide abfallender Temperaturen aufgegeben wurden und sich erst in der Neuzeit wieder erholten. Ob wir uns in einem Zyklus befinden, der nun ein Zeitalter von vielleicht 300 Jahren Wärme einläutet? Wie gesagt: wir wissen es nicht und schlagen für den Moment vor, alle Kriege zu beenden und etwa die Kreuzfahrtbranche stillzulegen, womit der Umwelt gedient wäre. Unbenommen die Nachrichten von Weingütern an der Nahe, wo 2025 in einer Aprilnacht bis zu 95% der Fruchttriebe erfroren und der aktuelle Jahrgang damit im wesentlichen passé ist. Ausreißer oder Widerlegung des Klima-Narrativs?

Der Kreuzzug gegen Wein (und Alkohol überhaupt)

Zitat aus der „ARD Mediathek“: „Ein Gläschen Rotwein, gut fürs Herz und ein längeres Leben. Zu schön, um wahr zu sein? Im Glas befindet sich eine gefährliche Droge. Und Deutschland ist Hochkonsumland. Dirty Little Secret erzählt vom harten Kampf um die Deutungshoheit zwischen Wissenschaft und Alkohollobby.“ Zitat Ende. In dem Filmchen beköchlöffeln drei (oder waren es vier?) It-Girls plappernd das Thema und sind sich von vornherein darüber einig, wo die Diskussion hinführen soll - wie in öffentlich-rechtlichen Diskussionen so üblich. Regierungsnahe Medien blasen ins gleiche Horn, die „Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.“ orchestriert im Fahrwasser der „WHO“ und stellt völlig richtig fest, daß Alkohol ein „nicht essenzieller, energieliefernder Nährstoff“ ist und eine „psychoaktive Droge“, für deren Konsum es keinen wissenschaftlich haltbaren Grund gebe (Anmerkung: für Cannabis aber schon?). Wir wünschen uns solche Kampagnen gegen hochprozessierte „Nahrung“, gegen Zucker, Transfette und deren Produzenten wie Nestle, Ferrero und andere, die seit Jahrzehnten die Volksgesundheit ruinieren - so wertvoll wie ein Glas Milch. Aber natürlich ist es ungefährlicher, gegen kaum organisierte Berufsgruppen vorzugehen als gegen multinationale Konzerne.

Angesichts der Kapriolen der umstrittenen damaligen „Ampelkoalition“ - nicht zuletzt des umstrittenen damaligen Gesundheitsministers: wäre es denkbar, daß es beim Kampf gegen Alkohol keineswegs um Volksgesundheit, sondern vielmehr um vorbereitende Begründung zukünftiger höherer Verbrauchsteuern geht, mit denen das ruinierte Gesundheitssystem über die nächste Legislaturperiode gerettet werden soll?

Wem es auf bloßen Alkoholkonsum ankommt, besorge sich einfach trüben polnischen Kartoffelwodka im Fünfliter Plastikkanister auf Berliner Flohmärkten oder tschechisches Methanol, gleich neben den Prostituierten an der E55.

Generationswechsel?

Marcel Wiedenmann vom Weingut Sankt Annagarten sagte uns einmal: „Der Winzer lebt von der Hoffnung“. Wenn das dem jungen Menschen reicht, seine Zukunft auf diese Karte zu setzen, viel Glück. Klimawandel und seine Propaganda, verlogene Medien, Polit-Dilettanz und - nicht zu vergessen - der Verdrängungswettbewerb dank eines weltweiten Überangebotes: alles schlechte Startbedingungen für junge Menschen, die den elterlichen Betrieb übernehmen wollen/sollen oder daran denken, einen zu gründen. Sollten auch Genossenschaften aufgeben, was durchaus vorkommt, fiele auch diese zugegeben wenig attraktive, wenig lukrative Absatzmöglichkeit weg.

Und nun?

Vorschläge: Trinkt mehr Wein, aber erhebt Mittelmaß nicht zur Doktrin. Kauft deutschen Wein am besten direkt beim Winzer, bezieht mittel- und südeuropäische Weine ausschließlich vom qualifizierten Fachhandel, nicht vom Supermarkt. Begreift Wein als sinnliches, mit Kunst, Ernst und Anstrengung erzeugtes Genußmittel für physisch und psychisch erwachsene Menschen.

06 Dezember 2024

Unsere Spitzenreiter 2024

Hier unsere Liste jener Weine, die uns 2024 am meisten beeindruckten - qualitativ herausragend, geschmacklich bestechend, in jedem Fall ihren teils heftigen Preis wert. Ohne Reihenfolge untereinander, ohne weitere Wertung und ohne Weingüter, die es dieses Jahr nicht hierher schafften, herabsetzen zu wollen. Kurz: unsere ganz eigene Hitliste, auf der Müller-Thurgau neben Spitzen-Bordeaux stehen darf.

  • 2022 Nasco di Cagliari „Inselis“, Argiolas, Sardinien, Italien
  • 2023 Spätburgunder Spätlese, Kurt Sacherer, Amoltern, Baden
  • 2023 Rivaner feinfruchtig, Helmut Meier, Weyher, Pfalz
  • 1970 Ch. Lascombes, Margaux, Frankreich
  • 2014 Ch. Musar "White", Bekaa, Libanon
  • 2016 Chardonnay, Horst Konstanzer, Ihringen, Baden
  • 2019 Lemberger „Ace of Spades“, Graf Adelmann, Kleinbottwar, Württemberg
  • 2017 Chardonnay, La Brie, Franschhoek, Südafrika
  • 2016 Hochar Pere et Fils, Bekaa, Libanon
  • 2017 Saumur blanc „La Cerisaie“ Domaine la Reniere, Loire, Frankreich
  • 2016 Merlot „The Tin Mine“, Zevenwacht, Kulis River, Südafrika
  • 2014 Silvaner „Iphöfer Kalb - Alte Reben", Ernst Popp, Iphofen, Franken
  • 2017 Retsina „Tear of the Pine“, Kechris Winery, Thessaloniki, Griechenland
  • 2014 „Y" de Chateau d’Yquem, Sauternes, Frankreich
  • 2022 Vermentino di Sardegna „Cala Reale“ Sella & Mosca, Alghero, Sardinien, Italien
  • 2017 Lemberger „Edition J“, Schlossgut Hohenbeilstein, Württemberg
  • 2015 "Pavillon blanc" de Ch. Margaux, Margaux, Frankreich
  • 2016 Completer, Donatsch, Malans, Graubünden, Schweiz
  • 2017 Riesling „Underdog“, Sven Nieger, Baden-Baden, Baden
  • 2022 Pinot Noir, Felton Road, Bannockburn, Neuseeland
  • Fühlen Sie sich nun aufgefordert, ihren Keller mit weiterem hochklassigen und spannenden Stoff zu füllen, dann herzlichen Glückwunsch! Die meisten Weine sind 2024 ab Händler oder sogar Erzeuger noch verfügbar.

    24 Dezember 2021

    Alkoholismus

    Hochglanz-Weinmagazine umsegeln das Thema Alkoholismus weiträumig. Was hat es dort auch zu suchen, außer den Spaß an der Sache zu verderben. Es mag einfach nicht zum landläufigen Genießer- und Gewinner-Klischee des kultivierten "Weinkenners" passen. Dem Alkoholkranken haftet das Loser-Image an: Kontrollverlust, unappetitlich - der Abstieg ins Obdachlosenmilieu steht wahrscheinlich kurz bevor. Uns scheint, Kokainmißbrauch ist in unserer Hochleistungsgesellschaft viel akzeptierter. Schnee wirkt ja auch ästhetischer als Erbrochenes. Also - bitte immer wegschauen:

    Schon morgens ein Gläschen in kleinen Schlucken? Ganz langsam und diskret? Dann weiter so bis abends - gleich ob aus Langeweile oder des sozialen Drucks wegen („Spielverderber"). Zunächst noch verschämt vor Familie oder Kollegen, wenn die Sorge, es bekäme jemand mit, schwerer wiegt als die Tatsache der Krankheit, bis es irgendwann auch egal ist, wenn die Haut wie bei Rauchern wurde: alt und fahl, das Gesicht den Ausdruck des Scheiterns angenommen hat und aus dem vielleicht ganz umgänglichen Zeitgenossen ein egozentrischer Psychopath geworden ist, ein "Schwarzfahrer im eigenen Körper" (V. Despentes)? Man mariniert sein Hirn eben nicht jahrelang in Alkohol, ohne dass irgendwann die Sicherungen schmelzen. Das hat nichts mit dem Geldbeutel zu tun. Ob Weinbrandfläschchen an der Supermarktkasse im Zwölferkarton oder beispielsweise 1975er Ch. Belair aus der Zwölferkiste: beides ist der Alpha- bis Epsilon-Karriere ungemein förderlich. Und im Gegensatz zu Kokain ist der Stoff jederzeit und legal verfügbar: man muß nicht alle paar Stunden seinen schmierigen Dealer ansimsen oder die Afrikaner im Görlitzer Park anbetteln. Und dann, wenn jeder Gedanke nur am nächsten Schluck hängt und jeder Rest an Konzentration darauf verschwendet wird, sich und die Welt anzulügen, bis schließlich weder der halbjährliche Entzug noch die treuesten Co-Alkoholiker helfen und das eigene Dasein zwischen Täuschung und vollkommener Nutzlosigkeit taumelt, kann man nur noch hoffen, daß einem ein paar wahre Freunde geblieben sind.

    Wir propagieren den bewußten, verantwortungsvollen und erwachsenen Genuß. Anders ist "Genuß" nicht zu definieren, und anders ist Wein, dieses Getränk, das sich wie kaum ein anderes dem bloßen Konsum entzieht, nicht denkbar. Suchtmittel interessieren uns nicht. Genau so wollen wir diese Seite und die Beiträge darin verstanden wissen.

    06 April 2021

    The ultimate guide to online-tasting

    Erlebnisweinwelt zweipunktnull. Wir betreten neues Terrain, die Lage zwingt dazu. Im zweiten COVID-Jahr arrangieren sich Weingüter zunehmend mit der Situation und veranstalten Weinverkostungen via Internet. Die Mutigen laden zur Webkonferenz und versuchen, allen technischen und menschlichen Widrigkeiten zum Trotz, Konversation zustandezubringen ("Haben Sie Fragen?") und die Veranstaltung nicht zur Vorlesung werden zu lassen. Ihnen gilt unser Respekt. Andere werden zu "Youtubern", wenn die angepeilte Zielgruppe zu groß für eine Konferenzsoftware ist und die halbwegs geordnete Kommunikation nicht mehr möglich wäre. Sie müssen auf Basis einer mehr oder minder gelungenen Choreographie ein Programm abspulen, und wir Konsumenten lehnen uns zurück wie weiland unsere Großeltern bei Kulenkampff.

    Hier einige ernstgemeinte Hinweise für des Winzers nächstes Online-Event - alles gar nicht schwer.

    04 November 2020

    Glassplitter

    Die wichtigste Frage überhaupt, zumindest wenn man nur noch Luxusprobleme hat? Nicht ganz. Einige Jahre der Beschäftigung mit Wein hatte es gedauert, bis wir - frei nach William von Baskerville - lernten, daß ohne Form der Inhalt nicht sein kann. So wurden eines Tages auch wir mit Nase und Gaumen in das Thema gestoßen und wollen seither nicht mehr hinaus.

    Zum Feature Auf der Jagd nach der perfekten Form

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    22 August 2020

    Lohnschreiber

    Einmal mehr war Franz Keller der Vorreiter. Mit seiner "Edition Fritz Keller" wirbelte er ab 2007 die im achtziger Jahre Desaster klebengebliebene Discounterweinszene gehörig durcheinander, auch dreizehn Jahre später offensichtlich immer noch ein Erfolg für ihn und die Aldi-Gruppe. Jahre der aufmerksamen Beobachtung gingen ins Land, bis andere Handelsketten das Rezept kopierten. So bietet zum Beispiel Rewe - allerdings nicht häufig zu findende - Weine aus einer Kooperation mit der Bingener Großkellerei Reh-Kendermann an. Edeka rief vor Kurzem (trotz eigener Kellerei, ebenfalls in Bingen) die Weinserie "Junior" zusammen mit dem Kiedricher Rieslingspezialisten Robert Weil ins Leben. Und nochmals Aldi kooperiert seit 2018 mit dem Rüdesheimer Weingut Leitz.

    Wir probieren solche Weine selten, auch wenn wir Fritz Kellers Initiative, dem Discounter-Publikum etwas Anspruchsvolles nahezubringen, ausdrücklich begrüßen. Ärgerlich wird das Ganze, wenn die Marketingmaschinerie anzulaufen beginnt - in Gestalt allgegenwärtiger Lohnschreiber mit oder ohne "MW", die mit ihrem ebenso blumig-blöden und nichtssagenden Verkostungsjargon im Auftrag der Handelshäuser und für klingende Münze Drittklassiges in Richtung Grand Cru uminterpretieren.

    Neulich hatten wir das zweifelhafte Vergnügen eines "Junior Unique" Chardonnay (mehr dazu in unserer Hitliste Chardonnay). Die bezahlten "Fachleute" verbogen sich in ihren "Kritiken" bis es quietschte, um mit Phrasenkoprolithen (A. Schmidt) á la "eindrucksstark", "an den Petit Chablis" erinnernd, "ausgewogen", "säurehaltig" (siehe da), "moderner und freigiebiger Typ", der "großzügig Aromen verteilt", aus diesem Mittelmaß etwas Bedeutendes zu keltern. Goldmünzen gab es irgendwo auch. Wir vermuten, daß insgeheim Köpfe geschüttelt wurden.

    Das Problem geht viel tiefer. Sollen Weingärtner sich und ihre Trauben ruhig an Großkellereien verkaufen. Das Weingut, das sich mit dem Discounter einläßt, seien es Cash & Carry oder das zu Hawesko gehörende "Jacques` Weindepot" und so fort, reitet auf einem schmalen Grat, ja es setzt seinen Ruf aufs Spiel. Kein Discounter leistet sich Rücksicht auf jenes fragile Kunstprodukt namens Wein, sondern er will Masse vertreiben und fordert Masse von seinen Lieferanten. Wie das mit Jahrgangsschwankungen, Biodynamik, Ertragsbeschränkung, Beerenselektion, teurer Kellerarbeit et cetera zusammengeht? Gar nicht, und die Qualität bleibt auf der Strecke. Wie aber kommen dann oben genannte überschwängliche Bewertungen zustande?

    Money makes the world go round...