Kennen Sie Cabernet Sauvignon? Aus Kalifornien, vielleicht Chile, sogar Israel? Oder, wenn Ihr Horizont weiter gefasst ist, Syrah, Tempranillo, Sangiovese? Sicherlich, denn Weltweinsorten kann man kaum entgehen.

Kennen Sie Süßschwarz? Weißen Traminer, roten Silvaner, gelben Kleinberger…? Wohl eher nicht, denn es sind sämtlich längst als ausgestorben vermutete oder vergessene Sorten, denen die „Kleine Eiszeit“ zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert, die Reblaus-Epidemie und schließlich die Weinindustrialisierung ab Mitte des 20. Jahrhunderts den Garaus gemacht hatten.

Aber der ein oder andere Rebstock übersteht diese Umbrüche (und nebenbei alle Kriege Mitteleuropas) in der Ecke eines aufgegebenen Weinbergs inmitten von Efeu und Brombeere, an einem Bachlauf, als Hausstock eines fünfhundert Jahre alten Bauernhofes, oder er wurde mit einer der bekannten Sorten verwechselt und jahrelang sozusagen unerkannt mitgekeltert. Oder man hielt ihn für eine Ranke und ließ ihn in Ruhe.

Bis der Botaniker und Ampelograph Andreas Jung ihn entdeckt und einordnet, der Winzer und Rebveredler Ulrich Martin ihn vermehrt, versuchsweise anbaut und schließlich Winzern zur Verfügung stellt, die Besonderes für ihr Programm suchen, Neues ausforschen wollen oder vom immergleichen Weltwein den Hals voll haben. Oder alles zusammen.

Wir verzichten im Folgenden auf Jahrgangsangaben, denn es geht zunächst darum, die Sorten kennenzulernen.

Schwarzblauer Riesling

„Fundort: Zwei Weinstöcke haben unerkannt in einem der ältesten Riesling-Weinberg(e) an der Mittelmosel überlebt. Ein weiterer wiederentdeckter Weinstock in Brandenburg wird nachweislich im 12. Jahrhundert gepflanzt.“ Und zwar an einer Moräne, die ein Gletscher vor vielen Zehntausend Jahren aufschob. Zisterzienser legten dort einen Weinberg an, der nach einem Besitzerwechsel im 16. Jahrhundert in Vergessenheit geriet und damit der Rodung und Umwidmung (vielleicht als Baumarktstandort plattgewalzt?) entging. Der Rebstock überstand also die kleine Eiszeit, friderizianische und napoleonische Kriege und die Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts. Der Wein erinnert an einen knackigen Blaufränkisch oder Lemberger. Voller, fester, Körper. Braucht viel Luft, um seine Säure zu bändigen. Dunkle Beeren, Schwarzkirsche, staubtrocken wie ein etwas zu junger Bordeaux, legt sich wie ein pelziger Teppich über Zähne, Zunge und Gaumen, angenehm wasserziehend, animierend. Leicht bitterer Akzent im durchaus langen und heißen Nachhall. Ein bemerkenswerter, fester, robuster Wein zum Kauen.

Blauer Arbst

Der Name soll von einer albanisch-montenegrinischen Volksgruppe, nach anderer Quelle vom keltischen Stamm der Allobroger, der an der Rhone siedelte, abgeleitet sein. Jedenfalls ist der Arbst Beispiel für eine unerkannte und mit dem blauen Spätburgunder verwechselte Sorte, weswegen sich die Frage nach Eigenständigkeit offenbar nie stellte. Tatsächlich ist der Wein einem Spätburgunder mit strahlender Kirschfrucht, saftiger Holunderbeere und gut eingebundenem Zedernholz vergleichbar, und er zeigt eine gewisse Badener Eleganz (wir fühlen uns an Oberbergener Bassgeige erinnert). Im langen Nachhall rote Paprika, ein Hauch Orange. Unter all den ungewöhnlichen und oft nicht einfach zugänglichen Weinen derjenige, der uns am vertrautesten ist.

Blauer Hängling

Ähnliches Schicksal wie der Blaue Arbst. Wir zitieren: „Der Blaue Hängling (…) ist historisch schwer zu identifizieren. Er gehörte vermutlich zu der sehr geschätzten Sortengruppe der Tressiaux/Trussiaux, mit der man heute lediglich eine Rebsorte verbindet: Trousseau. Auch bei anderen Rebsorten ein weit verbreiteter, fataler Fehler in der Rebsortenkunde, der eine Fülle früher sehr wertvoller Rebsorten historisch untergräbt und sie somit auslöscht“. Ansonsten ist nicht viel über ihn bekannt, abgesehen davon, daß er vom Weißen Heunisch abstammt, aber das tun viele andere Sorten auch.

Erste Assoziation: Merlot. Nicht nur, was die tiefdunkle Farbe, sondern auch die schwarzblaue Aromatik angeht. Auch der fast opulente, weiche Körper passt. Angenehme, nicht zu heftige Restsüße. Im Duft Heidelbeere oder schon deren Konfitüre, Brombeere, Veilchen. Im Mund saftig, herb, sehr trocken mit leicht bitterem Nachklang. Barriqueausbau sorgt für Fülle und Tiefe. Obwohl er keineswegs unverschämt süß ausfällt: geradezu köstlich war er zu Vanillekipferl und anderen Weihnachtsplätzchen.

Blauer Traminer

Eine sehr alte Sorte mit Anbauschwerpunkten in Lothringen und dem Burgund, schließlich vergessen und bis 2015 als „nicht existent“ geltend. Wieder einmal waren es Zisterzienser, diesmal des Brandenburger Klosters Zinna, die im 12. Jahrhundert Stöcke im östlichen Reichsgebiet pflanzten (vielleicht dieselben Mönche, denen wir den Blauen Riesling verdanken?). Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden die Sorten zusammen im Mischsatz gekeltert, denn Sortenreinheit ist eine Erscheinung der Moderne. Einige Stöcke des Blauen Traminers überlebten „fast 900 Jahre unentdeckt in einer Böschung am Waldrand“. Das Kloster selbst überstand Reformation und Pest nicht.

Mit diesem herben, trockenen und dunklen Wein und seiner doch sehr reduzierten Aromatik - prägnante Holznote, Cassis, zögerliche florale Noten - taten wir uns schwer. Also versetzten wir ihn mit Kardamom, Zimt, frisch gepreßtem Orangensaft, ließen Zucker weg und erhitzten ihn vorsichtig - einer der besten Glühweine, die wir je tranken.

Weisser Traminer

Wenn es blauen (und übrigens auch roten, gelben, grünen) Traminer gibt, wieso keinen weissen? Gibt es. Er fiel jedoch nicht politischen oder klimatischen Unbilden zum Opfer, sondern der Geschmacksmode. Mit zunehmender Beliebtheit des Standard-Gewürztraminers gerät er trotz seines Jahrtausende zurückreichenden Stammbaums in Vergessenheit, überlebt in einzelnen Stöcken und im Sortenrefugium des Schweizer Wallis (dort als „Heida“). Aromatik eines feinen, schlanken Gewürztraminers mit nur einer Spur Rosenduft, auch ein Eisbonbon-Riesling lauert. Im großen Holzfass ausgebaut, das sich mit leiser Bitternote bemerkbar macht und etwas Druck am Gaumen schafft. Einerseits duftig, leicht, elegant, dann robust, ausdrucksvoll, ja ungezähmt mit seiner kräftigen Säure. Am meisten Gewürztraminer darf der weiße Vorfahre im langen Nachhall sein, dann ist die Verwandtschaft nicht mehr zu überschmecken.

Grünedel

Im frühen Mittelalter im Merowinger- und Frankenreich bekannte und wohl hochgeschätzte Sorte, im Laufe der Jahrhunderte jedoch aus der Mode gekommen und bis 2007 als ausgestorben vermutet. Sein Duft erinnert an einen jungen, exotisch-fruchtigen Weißburgunder. Im Mund überrascht der Wein mit sehr süßer Apfelfrucht, eingefangen von Streichelsäure. Unbedingt trocken und vielleicht einem guten, restsüßen Moselriesling vergleichbar, ohne in dieser jungen Phase der Wiederkultivierung schon dessen Tiefe und Finesse zu besitzen. Ein Wein mit großer Vergangenheit, der große Zukunft vor sich haben sollte.

Gelber Kleinberger

Man sollte mehr deutschen Winzersekt trinken, sofern man auf Schaumwein steht, und weniger - oder gar keinen - Billig-Cava, -Cremant oder -Prosecco. Zum Beispiel Sekt brut aus gelbem Kleinberger.

Auszüge aus dem reichen Begleitmaterial, das Ulrich Martin seinen Weinen mitgibt: „Schon vor dem Riesling wurde der Kleinberger als Hauptsorte am Rhein und an der Mosel angebaut. Er gelangte mit den Trevorern an die Mosel. Aufgrund seiner hohen Frostfestigkeit und Anpassungsfähigkeit erlebte er eine Renaissance in der Kleinen Eiszeit (15. bis 19. Jahrhundert) Im Mischsatz verlieh er dem Silvaner zusätzliches Bukett. Bis zur ihrer endgültigen Bestimmung 2007 galt diese sehr alte Rebsorte als ausgestorben. Seit rund 100 Jahren fälschlicherweise mit dem Elbling gleichgesetzt, […] in Franken dem altfränkischen Mischsatz mit Adelfränkisch und Silvaner beigemischt. Einzelfunde auch an der Bergstraße. An der Nahe mit Silvaner, Riesling und Elbling im Mischsatz. An der Mittelmosel eingesprengt unter Riesling. Der älteste, etwa 350 jährige Hausstock an der Mittelmosel war ein Kleinberger“. Angenehm kräftige und frische Perlage des im Winter 2024 drei Jahre alten Sektes. Vorherrschend eine eigentümlich exotische, anisartige Zitrusnote, die wir bei einem Sekt so noch nicht erlebten, vielleicht in anderem Kontext in Myer’s Rum. Mandel, Walnuss, süßer Apfel und gar nicht so süße Birne, etwas Hefe. Langer Nachhall. Insgesamt ein echter Brut mit seinem animierenden Restzucker und auch für jene Genießer, die nichts von bubbles halten, den Versuch wert.