Leicht zu durchschauen ist das System nicht. Man könnte sagen: primärfruchtige Weine vom Löss als Basislinie, Löss-/Lehm-Böden als Grundlage tieferer, etwas komplexerer Tropfen und schließlich Löss-/Steinböden für die mineralisch geprägte, Barrique-ausgebaute Spitze. Oder Basis und Prestige - innerhalb letzterer die sogenannte "WeinWerkstatt"? Oder einfach Rotwein, Rosé, Orange, Weißwein? Und was auf der Flasche steht, muß sich nicht unbedingt in der Preisliste wiederfinden. Fest steht: gegründet 1987, rund 13 ha bepflanzt mit dem Kaiserstühler Standard, daneben Müller-Thurgau, Chardonnay, Sauvignon blanc sowie Souvignier Gris für ein Programm von 32 anstrengenden und faszinierenden Weinen.
Sie sind Antwort auf die Frage, wie reduziert Weinbereitung stattfinden kann - so wenig Schwefeleinsatz wie möglich und immer weniger, keine Schönung, Filtration und andere chemische oder mechanische Manipulation und Belastung, natürlich Spontangärung, viel Geduld im Keller - und welche Überraschungen daraus entstehen. Vorausgesetzt, die Mikrobiologie ruiniert vorher nicht alles.
Hinweis: die Aromatik dieser Weine entfaltet sich nur bei ausreichendem Luftkontakt; mit „ausreichend“ sind durchaus bis zu vier Tage gemeint, die eine Flasche geöffnet im Kühlschrank stehen kann. Hochwertige Weine wie diese hier halten das problemlos aus.
… „Vom Löss“, „Löss/Lehm“ sowie „Prestige“, allesamt aus dem Jahrgang 2016: der Löss irritiert mit dem Duft frisch eingelegter grüner Oliven; saftiger, weißer Apfel, Zitrus, eine Prise Meersalz sind mit im Spiel. Ein fast schon voller, säurestarker Weißburgunder mit perfekter Balance zwischen brillanter Apfelfrucht und scharfer Mineralik, langer Nachhall, außerdem ein für Höfflin unschlagbares Preis-/Leistungsverhältnis. Der Löss/Lehm ist ebenso kräftig, wirkt auf der Zunge aber weicher, und er ist von überraschender Tiefe und Fülle. Orangenduft, später Apfel, Fruchtbonbons, Rosmarin; im Mund pralle Orange, ausgeglichen von etwas Salz, und im schönen Nachhall zeigt sich noch weißer Pfeffer. Schließlich tritt der Prestige mit seiner Duftwelt von Butterkeks, süßem grünem Apfel und Sahnebonbon die Türe ein. Kräftig und im Frühjahr 2020 noch ungestüm. Saftig, rohseidenweich und nach langem Luftkontakt fast cremig. Ein Mund voller Werther’s Echte, die im langen Abgang zu Kräuterbonbons werden, außerdem süße Orange, Limette, Minze, nur noch ein salziger Hauch zum Abschluß. Ein voller Wein, aber schlanker wirkend als der Löss/Lehm, und seine Aromatik entfaltet sich bei allem Körper glasklar und präzise.
Auch einen in Höfflins Programm vielleicht deplatziert wirkenden Müller-Thurgau gibt es, dessen Reben auf den kühlen Kuppen nördlich von Bötzingen wachsen. In seiner Aromatik erinnert der 2018 Müller-Thurgau trocken "Löss" mit schwerer, purer Frucht vom Boskop, dem Hauch Zitrus und weißen Blüten an die hochklassigen fränkischen Spitzenreiter unserer Hitliste. Der Wein ist für einen Müller-Thurgau ungewöhnlich kompakt, nicht zu süß, im Gegensatz zu den Franken kristallklar und im Genuß etwas unkomplizierter. Jung ein hervorragender Sommerwein, der sich aber erst im Frühjahr 2023 zu voller Blüte entfaltet hat.
In der "WeinWerkstatt" versammeln sich Matthias Höfflins Experimente - dichte, unfiltrierte, naturtrübe Weine, spontanvergoren, zum Teil oxidativ ausgebaut, immer das Minimum an Eingriffen in die Weinbereitung austestend. Der 2017 Grauer Burgunder "Prestige" trocken "Löss/Lehm" naturtrüb wirkt zunächst wie ein Grenzgänger zwischen dem heute angesagten, sauber-schlanken, transparenten Stil und fetter, süßer Ruländer-Fröhlichkeit. Im Duft Sahnelikör, im Mund Melone, ein Hauch Orange, Pampelmuse, grüne Banane, auch strenge Noten wie Scharfgarbe und bittere Küchenkräuter, auf der Zunge weich, und zustechen wird er erst vor seinem langem Abgang. Dieser Grauburgunder ist unmittelbar zugänglich und damit sanfter Einstieg in Höfflins WeinWerkstatt, denn was Maischegärung und monatelanger Ausbau auf der Hefe aus Grauburgunder machen — jener Traube, die man zu kennen glaubt -, zeigt der Grauer Burgunder "Rosa Reprise". Vom Namen lasse man sich nicht täuschen, „Rosa“ und Rosé haben wirklich nichts gemein: im Duft Nougat, Orange, Tee, phenolische Noten, im Mund Feuerstein, Rauch, süßes Zwetschgenkompott, Rhabarber, Schwarztee und Karamell. Die herbe Frucht braucht viel Zeit und Luft, sich zu entfalten und spielt ihre Süße nur zögerlich aus. Seidige, kräftige Textur, schön salziger Nachhall. Ein Wein für den geschulten Gaumen und ein faszinierendes Studienobjekt, aber keine Feierabendentspannung.
Der an Übliches gewöhnte Weinliebhaber muß ohnehin einigen Humor aufbringen, wenn er sich in die WeinWerkstatt hineinwagt, am meisten jedoch für diesen maischevergorenen, offensiv bepreisten 2018 Gewürztraminer Prestige trocken. Dessen Farbe gleicht Cognac, der Duft erinnert bestenfalls entfernt an die Traube, die beispielsweise Elsass-Reisende so schätzen, feine Rose gibt den Wiedererkennungsfaktor, außerdem herbe exotische Gewürze, alles dominiert von Whisky, der im Bourbonfaß reifte. Solchermaßen neugierig gemacht, folgt Ernüchterung. Der Wein ist samtig, robust, voll und entfaltet sich explosiv vor dem langen Abgang. Aber seine Aromatik ist ebenso untypisch wie unspektakulär mit Quittengelee, süßen Gewürzen und vorherrschend adstringierender Bitternote. Die erinnert an das Erlebnis, begeistert in eine sonnengelbe Quitte hineinzubeißen, nur um festzustellen, daß man sie besser vorher gekocht hätte. Auch achte man auf die Temperatur. Der Wein darf nicht weißweintypisch kühl serviert werden, seine Aromatik erfriert im Handumdrehen. Bei niedriger Zimmertemperatur und langem Luftkontakt zeigt er seine Duftigkeit und die sympathischen süßen Noten am besten, und dann schwebt tatsächlich die denkbar filigranste aller Gewürztramineranmutungen über Glas und Gaumen.
Der 2017 Sauvignon blanc Prestige trocken bestätigt eine Ahnung, die wir von unserem ersten Besuch bei Matthias Höfflin mitnahmen. Der Kunde braucht Geduld, wie gesagt Humor, Offenheit und einiges Geld für diese Weine. Hat man sich aber einmal ihrer besonderen Geschmackswelt genähert, fällt es schwer, wieder zu Gewohntem zurückzukehren. Sauvignon blanc also. Man erwartet die bekannte grasgrüne Aromatik und bekommt: reife Aprikose und Mandarine, nur einen Hauch grüner Paprika, auch milden Tabak, denn der Wein reifte zwei Jahre im Holzfaß, Holunderblüten, türkischen Honig. Perfekt eingebunden, sehr sanfte Säure, aber noch nicht glatt. Im langen Abgang Magenbitter mit einem Hauch Salz. Stilistisch voll, saftig, schmelzig, kurz: alles, was Sancerre nicht bietet.
Auch einen "Orange Wine" gibt es. "Orange" beschreibt die Weinbereitung, bei der Weißwein wie Rotwein gekeltert wird: der Saft vergärt zusammen mit den Schalen und bekommt alle Zeit der Welt, Phenole, Tannine und Farbe aus den Schalen zu saugen - eine uralte Weise der Weinbereitung, deren Genialität darin bestand, mehr oder minder nichts zu tun. Souvignier Gris hatten wir nur selten im Glas und bedauerten das bislang auch nicht. Der 2018 Souvignier Gris „Prestige“ „Löss/Lehm“ „Orange Wine“ trocken hingegen beschert ein ungewöhnliches Dufterlebnis: in Brandy eingelegte Orange, hefiges Brot, Heu, Zimtstange, Vanilleschote, helle Schokolade. Dabei ist dieser Souvignier kein feinherber Wein, vielmehr erinnert er im Mund an hellen, nicht zu jungen Sherry, allerdings mit spannender Aromatik, Matthias Höfflin beschreibt sie als Sahne, Karamell, Waldhonig. Da gehen wir mit, jedoch sind duftiger Tee und bittere Kumquat für uns ebenso prägnante Akzente. Spektakuläre Entfaltung der Würze vor dem langen Abgang - dann zeigt der Wein auch dunkle Beeren, und mit kräftiger Küche wird der Fino beinahe zum Oloroso. Endloser Nachhall. Im Herbst 2022 gilt das alles immer noch, vielleicht wandelt sich der Sherry-Charakter in Richtung Port, insgesamt zugänglicher, der Nachhall wird pfeffrig mit einem Hauch Orange. Trotz seidiger Säure und bei aller Intensität verschließt er sich dem einfachen Genuß. Seine ungeheure Fülle macht schnell satt, dabei animiert der herbe Charakter immer wieder zum Nippen. Einsatzgebiet? Als Aperitif gibt er nur den Spielverderber. Kräftige Küche wie gesagt. Auch das Ende des Abends ist seine Zeit, wenn man weiß, daß anschließend nichts anderes mehr kommt, denn ein Umstieg wird kaum mehr möglich sein, und eine zweite Flasche ist nicht zu schaffen.
Der dunkeltrübe 2015 Spätburgunder „Löss/Lehm“ „Prestige Eichenlaub“ trocken stammt aus der Phase der Umstellung auf ökologischen Weinbau. Im Duft feuchte, pilzsporensatte Walderde, Moos, Trockenpflaumen, die Würze von Eukalyptus, die unspezifische Wärme von Filz und Fett (diesen Wein hätte Beuys gewählt). Nach genügend Luftkontakt überraschend fruchtig im Mund, reife dunkle Brombeere, Cassis, Cranberry, ein Hauch Zimt, aber nicht das süße Supermarktzeugs. Saftig, knackig, knochentrocken, ein Speichelzieher. Auf der Zunge sehr weich, im langen, heißen Abgang plötzlich von enormer Kraft, Säurespitzen stechen. Wir verglichen mit einem Spätburgunder desselben Jahrgangs vom nun wirklich erstklassigen Weingut Bercher aus Burkheim. Der Bercher war zugänglicher, einfacher genießbar, aber mit seiner typischen Tertiäraromatik vorhersehbar - first class mainstream. Den Höfflin hingegen wird man auch nach einer Flasche der Beschäftigung kaum verstanden haben, und in das geläufige Primär-, Sekundär- und Tertiärraster paßt er auch nicht. Auffällig an jenem Abend war, daß die Damen einhellig den Bercher bevorzugten, während sämtliche Herren sich am Höfflin abarbeiteten. Geschlechterstereotypen mögen in Zeiten der achtzig gender oder so politisch inkorrekt sein, darum halten wir nur fest, daß der „Prestige Eichenlaub“ provoziert und polarisiert. Nicht oft einen so spannenden Wein auf dem Tisch gehabt, aber das gilt eigentlich für Höfflins gesamtes Programm.