Auf ihren rund 20 ha baut Adriane Moll so ziemlich alles an, was Bacchus erschuf, außer Trollinger vielleicht, nun gut. Wir ersparen uns deshalb ermüdende Rebsorten-Aufzählungen und berichten lieber, daß aus ökologischer Bewirtschaftung erstklassiger Lagen reinsortige Weine und ungewöhnliche Cuvees entstehen für ein Programm von rund sechzig Positionen, Sekte nicht mitgezählt. Das Römergut blickt auf eine weitreichende Tradition in der Weinbaugemeinde St. Martin zurück, aber Adriane Moll macht nicht den Eindruck, als ließe sie davon ihre Neugier und Phantasie beschneiden. So gibt der Besucher seine Erfahrungen mit dem Pfälzer Klischee an der Türe besser ganz schnell ab.
Oder er wirft einen Blick auf die Etiketten der schweren Roten. Die sind mit Bildern des Malers Christian Moll gestaltet. Wer sensibel genug ist, entdeckt Parallelen zwischen Geschmacks- und Bilderwelt, außerdem motivieren die Weine zur weiteren Ausstattung der Privatbibliothek.
Was heißt schon leicht. Der 2014 Weissburgunder trocken "Zechpeter", "Zechpeter" bezeichnet die Lage, ist ein Weißburgunder für Fortgeschrittene. Säurestark, spritzig, aromatisch auf der floralen Seite, strenge salzige Noten, Kalk. Gibt sich im Mund tatsächlich locker, ist aber unbedingt trocken und in keinster Weise schmeichelnd. Wer es weicher mag, wählt den 2013 Weißburgunder Barrique "Mandelberg". Auch er hat eine ausgeprägte salzige Note, ist sehr trocken ausgebaut, wirkt mit seinem Schmelz und der Aromatik von reifen gelben Früchten und Vanille aber zugänglicher. Man sollte ihm noch Zeit zur Ausreifung gönnen. Dann wandten wir uns dem 2013 Grauer Burgunder trocken zu, und spätestens jetzt war klar, daß südbadische Erfahrungen hier wenig wert sind. Eine aromatisch selten intensive Apfelbombe, fast ein Fruchtbonbon, auf der Zunge weich mit feinster Säure. Nichts weniger als vordergründig: zwar süffig, aber kompromißlos trocken. Ein Grauburgunder, in dem man sich verlieren kann. Der 2014 Riesling trocken "Kastanienbusch" paßt nahtlos in diese unkonventionelle Reihe. Er gehört zur nicht häufigen grünen, kräuterigen, floralen Fraktion, hat selbstbewußte Säure, kräftige Struktur und will eben nicht gefällig sein. Ideale Wahl für die Sommerterrasse, und auch er verspricht noch mehr Vergnügen, wenn man ihn nicht zu jung trinkt.
Aus dem breiten roten Angebot kommentieren wir zwei Weine mit ausgesprochener Eleganz. Da wäre zunächst der 2014 Spätburgunder trocken, der mit seinem ungeniert fruchtigen, aber feinen Zwetschgenduft einnimmt. Im Mund wirkt er zurückhaltender und sehr leicht, zur Zwetschge kommt recht lebendige Säure, bevor er sich mit unerwartet langem, rauchigem Finale verabschiedet. Der 2012 Dunkelfelder Barrique feinherb duftet satt und schwer nach Cassis, Schwarzkirschen und frisch aufgebrochenem Holz. Im Mund entfaltet er herbe rote Früchten und getrocknete Kräuter, wirkt auf der Zunge, trocken, sehr weich und animiert mit seiner feinen Säure zum ständigen Nippen. Vergnügliche Weine für Anspruchsvolle.
Hier versammeln sich einige der ungewöhnlichsten Weine der Pfalz, und man kann den Horizont sicher viel weiter ziehen, denn welcher Erzeuger leistet sich heute noch jahrelange Faßreifung seiner Weine, bevor er sie in den Markt entläßt. Daß sich dafür nur robuste, dunkle Sorten eignen, leuchtet ein. Überraschend war für uns, daß diese Weine selbstredend trinkreif sind, aber durchaus nicht den Eindruck machen, es sei höchste Zeit dafür. Daß sie vorhersehbar schwer und überreif fruchtig wirken, für ihre Wucht aber keine extremen Alkoholgehalte benötigen - was ihren Genuß erfreulich vereinfacht. Und daß sie angesichts der Exotik und Qualität, die sie schenken, eigentlich nichts kosten.
Wir beginnen mit dem üppig-öligen 2012 St. Laurent Barrique "Venus", kirschintensiv, süße Zwetschgen, Waldfrüchte, würzige, pikante Noten. Vanille macht sich deutlich bemerkbar, wirkt für mehr als 28 Monate Reife im erstbelegten Barrique aber außerordentlich fein. In zweieinhalb Jahren ringt der Wein dem Holz wirklich alles ab, bekommt andererseits aber genug Zeit zur Absetzung bitterer und adstringierender Komponenten. Auch läßt Venus feine Balance zwischen schwerem Körper und Leichtigkeit auf der Zunge nicht missen, und im Abgang wird sie erst weich, dann heiß und stürmisch.
Der 2011 Blaufränkisch Barrique trocken "Franka" mit 40 Monaten Barriqueausbau ist einer unserer Favoriten im Langschläfer-Programm und nicht, weil Blaufränkisch in Württemberg den Namen "Lemberger" trägt. Kompakt, duftig mit durchdringender Kirsch-Aromatik, im Mund überraschend intensive Fruchtsüße schwarzer, reifer Kirschen mit gut eingebundenen würzigen Noten und Rauch. Ein Hauch Vanille täuscht Weichheit vor, seidige Tannine streicheln die Zunge, aber im langen Abgang wird er plötzlich kräftig, ja stürmisch. Kein feiner, aber ein tiefgründiger Wein, der beweist, daß es nicht extremer Alkoholgehalte bedarf, um ein Maximum an Geschmacksfülle herauszukitzeln. Wozu sich beeilen: im Sommer 2021 öffneten wir den 2015 Pur Pur Barrique trocken, dichter Vanilleteppich, süße Brombeere und Pflaume, Erde außerdem, samtweich, fleischig, träge wie Blut über Zunge und Gaumen gleitend mit endlosem Nachhall, es gibt keine andere Möglichkeit als des Winternachts Stokers Klassiker bei diesem Wein zu studieren. Die 2012 Mythos Barrique ist eine aus verschiedenen Barrique-Weinen komponierte Cuvee; angeblich versammeln sich hier nicht weniger als 250 davon. Mythos hat klaren Cabernet-Schwerpunkt, sehr trockenen Charakter und ist stilistisch bedeutend herber als ihre Kolleginnen. Samtig, schwer, sehr lange präsent und aromatisch so dunkelviolett wie das Etikett. Ein düsterer, melancholischer Wein, passend zu depressiver Stimmung und der Lektüre von Poes "The Raven".
Der volle, kakao- und blütenduftige 2011 Merlot Barrique trocken "CoCo" bäumt sich beim ersten Schluck aggressiv, im Vergleich zu den anderen schweren Roten kantig, sehr trocken, aber mit feiner, animierender Süße - den Balanceakt zu bewältigen scheint Adriane Molls Spezialität zu sein. Merlot-typische Pflaumenwürze, dunkle, reife Beeren, leicht pfeffrig, und trotz seiner Schwere nicht im Mindesten plump. Aromatisch ist die Cuvee 2011 Cabernet Sauvignon-Merlot Barrique "La Passionata" natürlich facettenreicher: feuchte Erde, die grüne Paprika scheint heller durch, dunkle Schokolade kommt hinzu, obwohl man das bei CoCo gar nicht vermißt hatte. La Passionata beeindruckt vielmehr durch ihr intensives Parfum, ihren massiven, aber eleganten Körper und den unerhört knochenstaubtrockenen Nachgang. Auch hier sind Wein und Etikett wieder meisterhaft miteinander komponiert, Opernkennern jedenfalls drängt sich einiges auf.
Wer sich bis hierhin durchgetrunken hat, wird bei der 2012 Cuvee "Ménage á trois" trocken langsam an Grenzen stoßen. Mit gerade mal 30 Monaten Faßreife ist sie fast die Juniorin dieser Runde und fordert dennoch alle Sinne. Lockende Süße mit feiner Merlot-Aromatik, die sehr lange präsent bleibt. Auf der Zunge fast adstringierend trocken, aber die durchscheinende Vanillenote macht den schwierig zu erfassenden Wein mit der Zeit zugänglicher. Mit der 2009 Cuvee "Adramenti" trocken, die ganze 66 Monate im Barrique verbrachte, reizt Adriane Moll schließlich das Machbare aus. Sie selbst beschreibt den Wein als "Elefant unter den Rotweinen", und in der Tat haben wir heavy stuff im Glas, der selbst die anderen Langschläfer-Weine zur Seite drängt. Pechschwarz, schwerer Samt auf der Zunge, sehr dichte, etwas ölige Struktur, rundgeschliffen und harmonisch. Aromatisch den Merlot-Cuvees nicht unähnlich, fügt Adramenti ihrer übermächtigen und -reifen Frucht noch Animalisches hinzu. Ein Extrem, auf das man sich einlassen und dem man Raum geben muß, was das Glas betrifft. Was geeignete Begleiter angeht, braucht man sich hingegen keine Sorgen zu machen, Adramenti wird sich ungeniert durchsetzen. Wir sehen sie als Solistin, höchstens noch als Begleitung zur Zigarre, etwa wenn es zwei Uhr morgens wurde, das House of Usher endlich untergegangen ist, die Morgendämmerung sich aber noch lange nicht zeigen will. Wir räumen ein, daß wir Adramenti nicht ganz verstanden haben. Andererseits: was 66 Monate vor sich hin schlummerte, mit dem kann man sich auch noch einige Winter Zeit lassen.
Wir ließen unserer letzten Flasche also noch Zeit bis zum Spätherbst 2023 und nehmen von unserer Bewertung nichts weg, fügen vielmehr das herbe Spektrum von Erde und roter Beete hinzu. Haben wir einen Untoten im Glas? Keineswegs, und von der Gewalt und Frische des nicht mehr so ganz jungen Weines sind wir nach wie vor beeindruckt. Also hätten wir ihn noch einige Winter in seinem Sarg ruhen lassen dürfen.
So viele Nächte.
So viele lange, dunkle Nächte.