Stuttgart-Mühlhausen. Am besten zu bewundern aus der Stadtbahn heraus, dann ist man auch schnell wieder weg und steckt wenigstens nicht im Dauerstau auf der berüchtigten und selten häßlich von McD, Kaufland und KFC zugebauten Neckartalstrasse. So oder so bekommt man von dem Örtchen mit den vier malerischen Burgruinen, dem Palm’schen Schloß mit seinem Park oder der einzigartigen Veitskapelle nichts mit.

Und den Weinbau Ambach? Den kennt man oder doch eher nicht, denn Werbung gibt es nicht, zufällig vorbeispazieren wird man nie und nimmer, und der Webauftritt, nun ja. Vorbeifahren wird man auch kaum, denn in den vergangenen Jahrzehnten wurde in Mühlhausen zwar eifrig gebaut, aber irgendwie wurden Garagen vergessen, und die engen Gassen stehen voller Blech. Wir empfehlen, sich die Weine nach Hause senden zu lassen. Kurz gesagt, Kleinstproduzent, Nebenerwerbswinzer, nur Insidern bekannt.

Zu den Rahmendaten: gegründet vor Hunderten von Jahren. Wann genau, wissen wir nicht, aber der über steile Stufen zu erreichende Gewölbekeller, den Christian Ambach (erster eigener Jahrgang: 2010) einmal pro Woche öffnet, wurde 1838 von einem seiner Vorfahren erbaut. Weine von den zwei ha terrassierter Lagen am Cannstatter Zuckerle werden dann in staubiger, finsterer, nur von Kerzen erleuchteter und unglaublich stimmungsvoller Atmosphäre verkauft. Tatsächlich, so etwas gibt es heute noch. Aus der Zeit gefallen ist Weinbau Ambach dennoch nicht. Moderne Neuzüchtungen im Programm, reduzierter Einsatz unbedenklicher Spritzmittel, ausgebracht per Drohne, schonender Ausbau der Weine. Die 2024er Weinliste umfaßt vier Rotweine, einen Riesling, zwei Secco, davon einer alkoholfrei. In der Hauptsache baut Ambach aber Äpfel an, die zu hervorragendem naturtrübem Apfelsaft verarbeitet werden, und der Löwenanteil der Trauben geht an die Genossenschaft.

Rotweine

Den Zweigelt, obwohl noch auf der 2024er Liste, konnten wir nicht erwerben, da ausverkauft, und Christian Ambach wird die Bestände roden. Der Sorte scheint es auf dem Cannstatter Zuckerle zu warm zu werden, und der magere Ertrag lohnt den Aufwand nicht. Da geht man besser auf Nummer Sicher:

Daß wir die letzten drei Flaschen des 2021 Cannstatter Zuckerle „Alte Rebe“ Trollinger trocken ergattern konnten und schlicht nichts weiteres verfügbar war, zeigt, dass der Kunde entweder schnell sein, auf sein Glück vertrauen oder einfach bis zum nächsten Jahrgang warten muss. Lohnt sich das Warten?

Im Duft süße rote Johannisbeere, leichter, herber Ton von roter Beete, gewisse Spannung, solide, alles in Ordnung. Im Mund leicht, vollmundig, robust und für einen Trollinger ungewöhnlich wasserziehend, stark und säurereich. Noten von Feuerstein und Johannisbeere, ein Hauch Erdbeere, sehr langer, herber und etwas kräuterfruchtiger Nachhall. Genau der richtige Begleiter zu Leberkäse und einem Kartoffelsalat, der einen unerschrockenen Schuß Essig und einen Löffel Senf abbekam. Bei aller Erdverbundenheit läßt der Wein gewisse Feinheit nicht missen, und als Vesperwein zu allem Möglichen ist er nicht süß genug, was wir als Pluspunkt verbuchen. So weit, so gut, und so typisch für die Gegend mit ihren vielen guten Trollingerweinen, insbesondere aus dem Cannstatter Zuckerle. Geschmacklich verwechselbar mit Genossenschaftsstoff oder den guten Trollingern des Nachbarn Zaißerei ist er aber keineswegs, und was ihn außerdem besonders macht, ist eine kleine Sensation. Einige der Rebstöcke sind mehr als sechzig Jahre alt, von wenigen werden sogar einhundertfünfzig Jahre vermutet. Die hätten somit die Reblausepidemie überlebt und grüßen uns aus der geschichtlichen Ferne.

Den seltenen Prior - 2021 Cannstatter Zuckerle Prior trocken - in der Liste eines kleinen Weingutes zu entdecken, ist eine Überraschung. Wir kannten bislang nur eine Cuvee vom Blankenhornsberg, in der Prior vorkommt. Deshalb hier die ausführliche Erläuterung, was da die Kehle hinunterfließt. Nun bitte zurücklehnen (r - rote Beere, w - weiße Beere):

Freiburger Neuzüchtung aus dem Jahr 1987, Synonym FR 48487R (r); Kreuzung von FR23675R (r) und FR461 (r).

FR23675R (r) entstammt Merzling (w) und Zarya Severa (w) x St. Laurent (r). Die Kreuzung aus Zarya Severa und Laurent ist auch als Geisenheim 6494 (w) bekannt, Merzling stammt aus Seyve-Villard 5276 (w, als Seyval blanc oder Rayon d’Or bekannt) sowie einer Kreuzung aus Riesling (w) und Ruländer (w) mit dem Synonym FR 37952 (w).

FR461 (r) ist eine Kreuzung von JS23416 des französischen Züchters Bertille Seyve-Villard und Pinot (Spätburgunder).

JS23416 (r) stammt aus Bertille Seyve 4825 (r) und Seibel 7053 (r): erstere eine Züchtung aus Colonel (r) (Couderc noir x Bertille Seyve 872) und Subereux (r) (Seibel 4595 x Seibel 4199), deren Aufschlüsselungen wir uns sparen: US-amerikanische Züchtungen kommen hinzu, zwischendurch Unbekanntes und irgendwann am Schluß Gouais blanc oder Weißer Heunisch. Seibel 7053 ist eine der wenigen Neuzüchtungen, die es zumindest in den USA zur Marktreife unter dem Namen Chancellor brachten.

Bliebe noch zu klären: Zarya Severa (w) aus Seyanets Malengra (w) und V. Amurensis (w), der Wildrebe aus dem Flußgebiet des Amur. Seyanets Malengra entstammt Malingre Precoce (w) die 1910 in Russland aus der Tafeltraube Bicane (w) und Pinot (r) gekreuzt wurde (Quelle: Vitis International Variety Catalogue - www.vivc.de). Danke für Ihre Geduld.

Christian Ambachs Prior belegt, warum die Sorte als eine der erfolgreicheren Neuzüchtungen gilt. Duft und Geschmack intensiv und dunkelfruchtig mit Pflaume, Schwarzkirsche, Brombeere, etwas Cassis und einem Kräuterakzent, vielleicht auch schwarzer Pfeffer. Textur weich, angenehm samtig, robuster, kompakter Körper. Sehr gutmütig gegenüber sperrigen Essensbegleitern, heißt: Prior ist in mit vielen Kombinationen vom Vorspeisensalat über Wild oder Braten mit ihren Soßen bis hin zum Schokoladendessert am Schluß des Abends zuverlässig. Besondere Facetten, Duftigkeit oder Feinheit wird man von solchen Weinen nicht erwarten.

Weitere Rotweine waren zum Zeitpunkt unseres Besuchs nicht vorrätig.

Rosé

Es scheint, als hätten wir 13 Jahre, nachdem wir den Begriff "Terrassenwein" für uns definierten, einen ziemlich idealen gefunden: 2023 Cuvee aus Lemberger und Cabernet Mitos. Ideal, da untypisch. Nicht besonders süß, eher trocken und herb mit säuerlichem Grundton bis in den etwas kurzen, aber frischen Nachhall hinein, die bei mainstream-Rosé gefürchtete Erdbeernote sehr zurückhaltend schmeckbar, etwas Florales wie Rosenblätter schwingt mit, und über einen möglichen vanilligen Akzent im Nachhall wurde sich die Runde nicht einig. Recht stark, robust, läßt sich herunterkühlen, ohne zu sehr an Profil zu verlieren. Wird eingefleischte Standard-Rosé-Liebhaber enttäuschen und jene, die bisher immer enttäuscht waren, erfreuen. Noch etwas kommt uns in den Sinn: über einen Pinot blanc von Johannes Häge schrieben wir seinerzeit: "Die zurückhaltende Aromatik läßt Raum für mehr: ein Blatt Minze oder Melisse, einen Rosmarin-, sogar Thymianzweig, vielleicht eine Erdbeere hineingeben, das Glas mit einer Orangenscheibe verzieren, oder warum ihn nicht als Grundlage für eine Bowle nehmen, zusammen mit einem erstklassigen Winzersekt." Ein günstiger und hochwertiger Terrassenwein, mit dem man experimentieren kann.