Sie kennen das mit dem Hundebesitzer, der seinem Liebling mit der Zeit immer ähnlicher sieht? Und Bettina Schumann und ihre Weine - aber lassen wir das.

Für Weinliebhaber gab es in der Vergangenheit wahrlich kaum einen Anlass, ausgerechnet nach Königschaffhausen zu pilgern. Nun jedenfalls gibt es gleich einen triftigen. 2015 gründet die Berlinerin Bettina Schumann ihr "Weinhaus" in den, sagen wir: rustikalen Räumen der ehemaligen St. Katharinen-Kellerei. Sie verzichtet auf den Erwerb von Rebflächen, kauft stattdessen das Traubenmaterial von wenigen ausgesuchten Winzern der Gegend - die nach Schumanns Vorgaben anbauen - und spielt ihre Expertise lieber im Keller zwischen blubbernden Gärtanks, blutenden Eichenfässern, alchimistischen Gerätschaften und erstbelegten Barriques aus. Es entstehen unangepaßte, freche, fordernde Burgunder, die den Kaiserstühler mainstream weiträumig umtanzen.

Das Programm umfaßt zehn Stillweine sowie einen Schaumwein á la pétillant naturel aus Spätburgunder und Chardonnay, der unter Mitwirkung von Odin Bauer entstand, und ist in zwei Linien gegliedert: der „rote Schuh“ bezeichnet Weine „für jeden Tag“, sofern man seiner Leber und Großhirnrinde das zumuten will, der „goldene Schuh“ ziert Weine für den besonderen Anlaß beziehungsweise wenn man aus einem langweiligen einen besonderen zaubern möchte. Mit dem Jahrgang 2018 werden alle Weine spontanvergoren.

Rote Schuhe

Der 2017 Blauer Spätburgunder Rosé „Mittenmang“ ist schönes Beispiel für den Trend namens Rückcuvettierung oder einfacher: Zurückverschnitt, also das Versetzen eines stahlausgebauten Weines mit einem holz- oder barriqueausgebauten Anteil desselben Weines (im Bordelais seit jeher angewandt, unseres Wissens allerdings zur Austarierung des Tanninhaushalts). Ein Drittel dieser Cuvettierung soll es beim „Mittenmang“ sein und warum nicht: eine äußerst fein justierbare Stellschraube für experimentierfreudige Weinmacher, darüber hinaus kellerökonomisch. Der Wein wirkt leicht und trotzdem Schumann-typisch saftig, aromatisch mit feiner Bitternote wie Wacholder, rote Johannisbeeren, völlige Abwesenheit alles Floralen, dafür animalische Akzente, würzig-bitterer Nachgang. Bettina Schumann sagt „der perlige Tropfen passt prima zu Snacks jeder Art und das rund um die Uhr“, und natürlich will sie damit einer jungen Zielgruppe jedwede Scheu vor der Begegnung mit dem Thema Wein nehmen, aber man gebe nicht zuviel darauf. Wer will schon Wein rund um die Uhr, und dieser „Mittenmang“ ist in seiner kunstvollen Machart alles andere als Alltagsstoff. Zehn Monate verbrachte der 2017 Blauer Spätburgunder „Achtkantig“ im gebrauchten Barrique, bis er sich zu einem stilistisch vollen und aromatisch reintönigen und intensiven Wein entwickelt hatte. Dabei zeigt er im Moment noch nicht übermäßig Facetten, beeindruckt aber mit der Würze gebratenen Specks und marzipaniger Süße. Hinterhältig ist er auch, wie er am Gaumen vorbeischleicht, geradewegs in Richtung Schaltzentrale, und es sich dort gemütlich macht. Der 2018er hingegen beschert das wenig begeisternde Erlebnis eines Tankstellenbesuchs, bestenfalls einer ausgelaufenen Flasche Terpentin. Das mag Konsequenz einer schiefgegangenen Spontanvergärung sein, und die Mannschaft versucht im Ernst, das als "reduktive Note" zu verkaufen? Wir sind gespannt, wieviele Flaschen davon Bettina Schumann los wird.

Nein, wir bleiben lieber beim 2017 Weißer Burgunder trocken „Bis in die Puppen“, intensiv, alkoholstark, jung zu genießen, aromatisch wild und südfruchtig. Im Rückverschnitt zu einem Fünftel barriqueausgebaut, und das Holz wirkt zurückhaltend, ist gut eingebunden und durch feine Mineralik eingefangen. Schmelzig, saftig, langer, süßer Nachhall mit feinen Säurespitzen. Tun wir diesem unkomplizierten Weißburgunder nicht unrecht: auch er wird landauflandab als Partywein beschrieben, aber dafür gibt es anderes Zeug für bedeutend kleineres Geld, mit weniger Anspruch, dafür mehr Zucker. Wo wir über Schmelz sprechen: der 2017 Grauer Burgunder trocken „Famose Schose“ ist der Wein für Liebhaber der ganz seidigen Säure, des cremig-saftigen Mundgefühls und relativ hoher Alkohol- und Glyceringehalte. Er weckt Assoziationen an Orange Wine, aber nur seines kupfernen Glanzes und einer gewissen Aggressivität am Gaumen wegen. Im Duft Apfel, braun werdende Birne, ein Hauch Karamell, Baumharz; im Mund dicht, satt und saftig, aber nicht zu schwer, rundgeschliffene Säure, der salzige Akzent immer gegenwärtig, frisches Kernobst und feiner Zitrus, Weihrauch, saftige, nicht zu süße Orange, vielleicht auch Pink Grapefruit im Nachhall. Ein ungewöhnlicher Kaiserstühler Grauburgunder - stilistisch vielleicht ein Elsässer, geschmacklich eher vom fröhlichen Pfälzer Typ, insgesamt aber filigraner und lebendiger als jene. Einer seiner Vorgänger, sozusagen ein Erstlingswerk, der helle 2015er kann noch im Spätherbst 2020 mit Vergnügen getrunken werden und wirft manch anderes immer noch aus der Bahn, aber die Fortentwicklung von Vielfalt und Durchschlagskraft der Aromen ist unverkennbar.

Nach zweijähriger Faßreifung gab im Sommer 2021 der 2019 Weisser Burgunder "Bagalut" sein Debut. Eckdaten: vierzigjährige Rebstöcke auf Vulkan- und Lössböden, ertragsreduziert, lange Maischestandzeit, Spontanvergärung und Vollhefelager, 12 Monate Schlummern im gebrauchten Barrique, danach ein Jahr in der Flasche, und auf Filtrierung verzichtete man: every trick in the book. Im Ergebnis entstand ein ungewöhnlicher (aber das erwarten wir von Schumann schließlich), deshalb nicht schnell zugänglicher Weißburgunder. Duft von Baumharz, Blüten, Gurke, zwischendurch eine wilde Note, auf dem Holzbrett aufgeschnittene Zitrone, später Aprikosenkompott. Im Mund ausdrucksvoll, rassig, bitter, für seine Jugend sanft mit streichelnder Säure; Zitronenschale, gelbes Kernobst wie Aprikose und Mirabelle, nicht zu süßer Apfel, später Banane. Saftig, wasserziehend, mit der Zeit weicher, ohne jemals sachte oder opulent zu werden. Kein Weißburgunder für Beginner.

Goldene Schuhe

Als Evolution der „Famosen Schose“ gilt der 2016 Grauer Burgunder trocken „Dit is der Clou von’t Janze“ aus dem großen Holzfaß. Ihn preist Bettina Schumann als „feierfestes (sic!) Schuhwerk für den Tanz auf dem Vulkan“: kraftvoller Gegenpart schwerer, fettreicher Speisen, gewaltiger Körper, buttrige Süße von warmem Teig und Karamellbonbon, irrlichternde Zitrusaromatik, Wintergewürze, und wenn die Nase im Glas verschwindet, meint man, in ein Whiskyfaß hineinzuschnuppern. Natürlich spottet der „Clou“ jedem Kaiserstühler Klischee, selbst wenn er das typisch feurige Element nicht missen läßt, aber wir schrieben erst kürzlich bei Lena Flubacher, daß frischer Wind der Gegend gut tut. Sein Publikum dürfte er bis auf weiteres trotzdem oder deswegen jenseits regionaler Grenzen finden - als gewichtiger Botschafter einer neuen Badener Weinkultur.

Im Vergleich zum "Achtkantig" (wie der Name andeutet:) eleganter, aber ebenso geradlinig fällt der 2016 Blauer Spätburgunder „Haute Volaute“ aus. Dem spendierte man sieben Monate mehr Zeit im Holzfass als seinem Pendant vom roten Schuh, was ihm mehr Dichte, Würze und Seidigkeit schenkte. Er erinnert an die süße Bitternis von Wacholder (oder Gin?), an Zedernholz, seine Frucht tendiert mehr zum herben Charme der Preiselbeere und Sauerkirsche als zur klassischen Pflaume oder Schwarzkirsche, Zimt kommt im endlosen Nachhall hinzu. Im Winter 2020 gilt leider: Abwarten!

Auch in den 2018 Blauer Spätburgunder Rosé „Chaiselongue“ geben wir heute nur einen kurzen Einblick. Seine Zeit wird kommen, wenn die Temperaturen sympathischer werden und man draußen wieder Sonne tanken kann. Einstweilen: die Beeren für den Wein stammen von alten Reben auf heißem Vulkanboden, Ertragsreduzierung, tagelange Maischestandzeit, Spontanvergärung, Ausbau im neuen Barrique, unfiltrierte Abfüllung und zwar ausschließlich in wenige nummerierte Magnumflaschen: eine Freundin von Kompromissen scheint Bettina Schumann nicht zu sein. Ein im Duft durchaus fruchtig-süßer Wein, auf der Zunge intensiv, seidenweich, fast cremig, aromatisch bestimmen jedoch Röstaromen, Nüsse, nicht zu süße Kirschfrucht das Spiel. Eindrucksvoller Nachhall und perfekter Begleiter schwül-heißer Sommerabende 2023.

Fazit - vorläufig

Den Mut, qualitativ und preislich gleich einmal weit oben einzusteigen, begrüßen wir sehr, und vor verläßlich-gleichförmiger Konstanz wird uns die Experimentierfreude der Kellermeisterin sicherlich bewahren. Für den durchschnittlichen Weinkonsumenten sind die Weine nichts. Sie sind nicht süß genug, aromatisch zu intensiv und irritierend, stilistisch zu fordernd, und sie liegen preislich zu hoch: insgesamt für den unbewußten oder ungeschulten Genuß zu schade. Der Weinliebhaber hingegen, der schwieriges Terrain schätzt und weiß, daß Qualität kostet, gewinnt eine spannende und ernstzunehmende Adresse hinzu.

Fazit - hoffentlich nur vorläufig

Inzwischen - im Sommer 2021 - schwimmt das Weinhaus Schumann auf der Erfolgswelle, und das hat man sich in den Jahrgängen seit 2015 auch verdient. Über anderes rätseln wir. Ob der radikale Schnitt in Richtung Spontanvergärung eine gute Idee war? Von den im Sommer 2021 probierten elf Weinen waren wir von zweien überzeugt. Wohin eigentlich entwickelt sich der Stil der Schumann-Weine? Und wohin, vorsichtig gefragt, die Preise? Aber warum nicht Kaufkraft abschöpfen, und sowieso scheint uns, daß Bettina Schumann in Richtung Gastronomie tanzt. Wenn man also die Biologie unter Kontrolle bekommt und sich stilistisch nicht verzettelt, bleibt die Reise weiterhin spannend.