Die Architekturmoderne hat längst Einzug gehalten im Kaiserstuhl. Keller, Koch, Köbelin und seit 2012 auch Abril setzen betongewordene Statements in die Landschaft, wobei letzterer in punkto Selbstbewußtsein den Vogel abschießt, denn auch mit den rund 20 ha Rebfläche sind Kapazitäten und Ambitionen keineswegs ausgereizt. Das Programm umfaßt über 30 Positionen einschließlich bubbles & co und ist in drei Kategorien eingeteilt: "Frucht" als eher einfache, primärfruchtgeprägte Alltagslinie, "Stein" soll den Charakter der Löß- und Vulkanböden einfangen und schließlich "Zeit", in der sich schwere, lange gereifte Weiß- und Rotweine sowie Edelsüße versammeln, alles gemäß Ecovin-Richtlinie erzeugt.

Nach schwerem Start und zwischenzeitlichem Austausch der Führungsmannschaft hat sich das Weingut gefunden. Produktausstattung, Werbemedien, Kundenansprache und -service waren immer vorbildlich und halten ihr Niveau. Aber die Weine haben nun ihren besonderen Stil: im Duft sortentypisch, manchmal exotisch, schmeichelnd, lockend, im Mund unverfälscht, kompromißlos, mineralisch, oft direkt, sogar rau. Auch ihr Preis-/Leistungsverhältnis stimmt mittlerweile, und wir stellen fest, daß der Kaiserstuhl eine neue must-see Adresse hat. Um der Zeitungsente zu begegnen, die einfach nicht untergehen will: mit dem 1740 gegründeten Weingut in der Bischoffinger Hauptstrasse hat der heutige Betrieb nur noch den Namen gemein.

Über Frucht, Stein und Zeit

Der Oechsle-Rekordjahrgang 2015 war für viele Standardsorten fatal und für wenige andere ein Segen. Während der 2012 Auxerrois trocken noch das üblich fade Wasser war, präsentiert sich der 2015er aus der "Frucht"-Linie aromatisch intensiv und stilistisch kräftig. Endlich tritt Gelbburgunder einmal aus dem Schatten seiner weißen und grauen Geschwister heraus und punktet mit subtil fruchtigen und deutlich salzigen Noten - wann konnten wir so etwas jemals über Auxerrois schreiben. Weder ist der Wein besonders tief noch lang, aber uneingeschränkt vergnüglich, und er wirkt lebendiger als zum Beispiel die ebenfalls gelungene Interpretation von Bercher-Schmidt Der 2017er überzeugt mit denselben Qualitäten, ist vielleicht noch würziger. Und 2017 tat auch dem 2017 Müller-Thurgau gut: weißblütenduftig, im Mund unerwartet kräftig, grünwürzig und mineralisch mit zitrusfruchtigem Nachgang. Ein zugänglicher, vergnüglicher Wein und gerade noch unkompliziert.

Den 2015 Weißer Burgunder trocken lassen wir beiseite und wenden uns lieber dem Grauburgunder zu, den Abril auch im Ruländer-Stil anbietet. Wie Silvaner spielte Ruländer einst eine prominente Rolle im Kaiserstuhl, und wie jener führt er heute ein verstecktes Dasein: man muß suchen, und hat man gefunden, war es oft nicht der Mühe wert. Der 2015 Ruländer feinherb zieht schön fette Schlieren am Glas und ist in seinem sommerlichen Duft von reifen Birnen, Quitten, etwas Mandel und Rose feiner als erwartet. Im Mund wirkt der Wein weich, ohne glatt zu sein, sehr saftig mit sympathischer Süße, feine Säure animiert zum ständigen Nippen. Unbedingt leicht ist der Wein nicht und disqualifiziert sich damit für die Sommerterrasse. Also konfrontierten wir ihn mit Gegrilltem, und es war die ideale Untermalung. Gleiches gilt für die 2016er-Version mit ihrem Kuchenteigduft, der intensiven Aromatik und weichen Struktur und diesem ziemlich sensationellen Nachhall von Lübecker Marzipan. Im Januar 2021 perfekt gereift. Natürlich wirkt der 2015 Grauer Burgunder trocken schon im Duft klarer definiert, aber auch strenger und zitrusfruchtig mit leiser Mineralität; die Birne des Ruländers wird zum Apfel, und dieses Spektrum zieht sich in den Geschmack hinein, ergänzt durch einen immer stärker werdenden trockenen und salzigen Nachgang. Und auch einen zitronen- und kräuterduftigen Silvaner gibt es im Programm: 2019 Blauer Sylvaner "Frucht", kernig, würzig, spritzig, säurestark, Limone, später Florales wie liebliches Maiglöckchen, bitterer Wermut, der sich zum Abgang hin entfaltet, ein Hauch Salz. Ein robuster Brotzeitbegleiter, der noch nicht den Eindruck macht, als sei er schon dort angekommen, wo Abril ihn hinhaben will.

In der Fraktion "Stein" beginnen wir mit dem 2015 Gewürztraminer trocken. Der scheint uns vom klassischen französischen, genauer: Elsässer Typ, den wir lange tot glaubten. Im Mund zunächst schmeichelnd und schmelzig, nichts weniger als fein und filigran, fetter Traminerduft, überreife Banane, gut eingebundene Noten aus dem Holzausbau, dann aber für einen Gewürztraminer überraschend trocken, in der Überwältigung der exotischen Aromen herausfordernd und plötzlich gar nicht mehr so elsässisch. Der 2013 Grauer Burgunder trocken präsentiert sich erst weich, vollmundig, sogar etwas dick, feine Vanille und wird nach dieser Begrüßung salzig, streng mineralisch, beinahe rau und nur zurückhaltend süß - die Philosophie vom "aromatischen Einfluss des Bodens" trifft ins Schwarze. Er sticht definitiv aus dem Kaiserstühler Grauburgundersee heraus und ist ein großer Fortschritt gegenüber dem 2012er. Mit ihm, dem Ruländer sowie dem Grauburgunder aus der "Frucht"-Linie wird Abril zur heißen Grauburgunder-Adresse.

Zum Thema "Zeit". Der 2011 Spätburgunder trocken “Magmatit” war damals ein recht würziger Vertreter: Gewürznelke, Zimt, etwas schwarzer Pfeffer, Vanille, irgendwann schließlich Zwetschgenfrucht. Trocken, etwas streng und nicht allzu inspirierend, kurzum: für einen ersten Wurf nicht schlecht, aber auf problematischem Preisniveau. Im Mai 2016 meinten wir, daß er genug Zeit hatte, diesem Niveau endlich gerecht zu sein und öffneten eine Magnum. Der Magmatit stand nun auf der sehr fruchtigen Seite, entfaltete sich schön und verabschiedete sich nicht zu schnell, wirkte jedoch für seinen Anspruch zu leicht. Der 2013er ist von derselben aromatischen Vielfalt, aber ausgeglichener, kompakter, erwachsener. Er schien uns zum Jahreswechsel 2019/2020 die richtige Wahl, und wir wurden nicht enttäuscht. Auch der 2011 Pinot Noir trocken aus der Linie “Zeit” brauchte, ja genau: Zeit. Er war im Duft süßer, zimtiger als der 2011er “Magmatit”; Teer, Marzipan, vielleicht Moschus, später kam Florales hinzu. Im Mund wirkte er nicht sehr trocken, eher im Nachgang, wo er seine Zimt- und Nelkenaromatik schön entfaltete - kann man bei 15 Vol-% und einem für die Gegend saftigen Preis auch erwarten. Mit dem 2012er können wir ihn nicht mehr vergleichen, da ausgetrunken. Der jüngere Wein schien uns mehr Terroir und Abwechslung in seiner Aromatik zu schenken. Der 2015er lädt zur Reise durch die Welt der Winterweine ein: im Herbst 2019 noch etwas tanninlastig, aber nach viel Luftkontakt entfaltet sich das ganze Spektrum süßen Tabaks, starken Moccas, von Zigarren aromatisierten Holzes, dunkelroter Früchte - kraftvoll, samtig, dicht. Wahrscheinlich ebenfalls in die „Zeit“-Linie gehört der 2018 "Pino Magma" Reserve trocken aus 60 % Grau- und 40 % Weißburgunder. „Pino Magma“ (sic!) ist eine Marketingkampagne von insgesamt 14 Kaiserstühler Weingütern und Genossenschaften. Wie heißt es auf dem Rückenetikett:

„Vulkangestein, Wärme, Winzerkunst - Nirgendwo sonst entfaltet sich die feine Eleganz der Pinottrauben so hervorragend wie im Kaiserstuhl. Pino Magma vereint all dies zu einem einzigartigen Weinerlebnis, dem sich ausgesuchte Winzer der Region verpflichtet fühlen.“

Abril gehört zu den ausgesuchten, und jeder Teilnehmer kombiniert unter dem gemeinsamen Slogan, jedoch mit eigener Handschrift, Grau- und Weißburgunder zu einer trockenen „Pino Magma“-Variante. Ziel ist, die Eigenart der Burgunder und das vulkanische Terroir überregional bekanntzumachen. Nun erklettern wir mit Abrils Interpretation gleich die Spitze des Programms: die Beeren aus der prominenten Einzellage Enselberg direkt oberhalb des Weinguts, spontan vergoren, neun Monate Ausbau im Holzfaß - was man wegen des im Moment sehr dominanten Holztons auch schmeckt, ansonsten kraftvoll, recht würzig, feine Fruchtsüße, Nußtöne im Nachhall, natürlich im Frühjahr 2021 viel zu jung und sowieso zu hoch bepreist. Trotz aller heutigen und hoffentlich zukünftigen Klasse läßt der Wein uns ratlos zurück: wieso man ausgerechnet diese beiden Sorten cuvettieren mußte, bleibt das Geheimnis der Marketingprofis, und nicht einmal ein Weinmacher wie Abril vermag dieser Kombination Rasse, Intensität, Spannung zu verleihen oder irgendetwas, das den Preis rechtfertigen könnte. Wir verglichen mit den „Pino Magma“ fünf anderer Winzer, und Abril ist von dem, was wir bislang kennen, eindeutig die Wahl. Insgesamt aber wünschen wir dem Projekt den Erfolg, den es verdient.

Schließen wir lieber mit dem 2016 Chardonnay trocken "Zeit", im Frühjahr 2021 geöffnet. Im Duft Haselnuß, Nougat, im Mund saftige, seidige Textur, intensive Aromatik von süßem Pfirsich, grünen Bohnen, Zitrus, gerösteten Haselnüssen; reife Aprikose und salziger Touch im langen Nachhall. Einem erstklassigen Chablis vergleichbar, wenn man diesen Vergleich unbedingt ziehen will, und Beleg, daß manche Weingüter aus dem zweifelhaften 2016er-Jahrgang doch besondere Weine zauberten. Dieser Chardonnay und die hervorragenden Grauburgunder sind 2020/2021 für uns Abrils spektakulärste Weine.