Leiling baut auf rund 15 ha meist Elsässischer Lagen Spätburgunder, Portugieser, Cabernet Sauvignon, eine breite Palette weißer Burgundersorten, Gewürztraminer sowie Riesling an. Neuzüchtungen sind nicht im Programm, und überhaupt wirkt der Besuch von Weinstube, Restaurant und Keller wie ein Ausflug in eine romantische Vergangenheit. Man ist stolz auf schonende Verarbeitung der Beeren, leistet sich antiquierte, aber präzise Kellertechnik, hat Geduld für lange Maischestandzeiten, Mut zur Spontangärung, und man läßt den fast fertigen Weinen viel Ruhe zur Vollendung. Wollte man ihren Charakter mit einem Wort treffen, wäre es: "subtil", und Subtilität ist nichts für Liebhaber schnell zupackender Aromabomben, die "Boom" machen...
Beginnen wir mit dem 2012 Riesling trocken "Hopital": überraschend intensiver, fast überwältigender Duft nach überreifem Pfirsich, Blumen und trockenem warmem Kalk. Im Mund wird daraus, ebenso überraschend, ein ungewöhnlich weicher, feiner, fast scheuer Riesling der fruchtig-süffigen Fraktion mit feinster Säure, leichten Zitrusnoten, kaum spürbarer Mineralität und fast endlosem Nachgang. Ein unkomplizierter Wein, aber darum nicht weniger hochklassig. Auch der beinahe scharfe Duft des 2012 Pinot gris gibt uns zunächst eins auf die Nase, entfaltet sich im Mund dann aber zu einem fülligen, weichen, apfel- und steinobstfruchtigen Paket mit - sofern möglich - noch weniger Säure. Das ist kein unbedingt erfrischender Tropfen mehr, aber ein maximal bekömmlicher. Wie der Riesling mit beeindruckendem, leicht bitterem und apfelfruchtigem Nachgang. Kühle und konstante Temperierung empfohlen. Der 2012 Chardonnay dagegen ist im Duft ein typisch schlanker Vertreter seiner Sorte: in die Nase kommt nichts oder nicht viel, aber er entfaltet sich im Mund mit feinem Zitrus, warmem Teig und leiser Mineralität. Sein Stil: ungewöhnlich trocken, aromatisch zurückhaltend, dicht und mit vollem Körper. Und auch er ist die Wahl für Fans langer Nachgänge: da wird er plötzlich gelbfruchtig süß. Hat man das süße, säurereiche Fruchtfleisch einer Ananas abgenascht, bleibt der wenig beliebte (aber vitaminreiche) Strunk übrig. An dessen herb-fruchtige Aromatik erinnert der Duft des 2018 Weißburgunder trocken". Apfel und Apfelkuchen kommen hinzu, später ganz intensiv nicht zu reife Nektarine, eine leicht schräge Note zudem - Spontanvergärung im Spiel. Frisch, kräftige Säure, mit kompaktem Körper, gerade noch so auf die heiße Sommerterrasse passend.
Der 2012 Pinot Noir überwältigt oder erschlägt zunächst mit seinem Vanilleduft - wer das mag, kann sich daran kaum satt riechen. Später kommen Bitterschokolade, etwas Holz, frische Eicheln dazu. Im Mund ist der Pinot nicht ganz so gewaltig, zeigt aber für einen sehr günstigen Wein schon Komplexität, ist saftig und hallt lange nach. Der 2012 Blaue Spätburgunder fällt erwartungsgemäß zwetschgenduftig aus; Zimt und Nelke erinnern an Winterabende samt Spekulatius, aber im Mund zeigt sich wieder: wer keine Geduld in diese Weine investiert, wird sie vielleicht als vorhersehbar abtun. Tatsächlich wirkt der Blaue auf der Zunge für seine 13 Vol-% federleicht, verliert nach einigen Sekunden seine Sanftheit und wird im Nachgang intensiv, pfeffrig, knochentrocken: irritierte Blick in der Runde sind garantiert.
Ab einem Alter von 30 bis 40 Jahren tragen "Alte Reben" den Ehrentitel zurecht. Alte Reben wurzeln tief, ziehen eine intensivere, mineralische Aromatik aus dem Boden, sind robuster gegen trockenstressbedingte Fehler wie UTA. Ihre Beeren reifen jedoch unregelmäßig, was Bearbeitung und Ernte schwierig macht, und dann fällt der Ertrag auch noch gering aus. Ein Problem für Massenerzeuger, aber nicht für Leiling. Der 2009 "Doryan" Spätburgunder aus alten Reben ist ein duftiger, aber kräftiger Spätburgunder und gewöhnungsbedürftig, wenn man die Kaiserstühler Seligkeit gewohnt ist. Zwetschgen, Sauerkirsche, etwas Gewürznelke, Zimt, ein Hauch von Holzfeuer, aber all das entfaltet sich nur, wenn der Wein nicht zu warm serviert wird. Strenge Gerbstoffe und spürbare Säure machen ihn saftig und frisch, und er fließt wie Rohseide über die Zunge. Langer, sich aufbäumender Nachgang - da entwickelte Leiling eine besondere Fertigkeit.
Daß Leiling-Weine und ihr Marketing auch anders können, machen die "Boom Bottles" klar. Sie wirken mit aggressiver Stilistik und Ausstattung wie ein Ausbruch aus der harmonisch-heimeligen Machart des Hauptprogramms. Zwei Beispiele: 2013 "Prinzessin Vaaleanpunainen" Rosé aus Spätburgunder und Portugieser. Leiling bezeichnete den satt orangenen Wein seinerzeit als "leichten" Sommerwein. Der Wein mochte alles sein, aber bestimmt keine Prinzessin auf der Erbse: im Duft getrocknetes Kernobst, Lavendel, Rosen. Im Mund die explosive Entfaltung - lebendig, schillernd, irrlichternd. Stilistisch gewichtig, kompakt, dicht. Aromatisch süßfruchtig mit Aprikose, Himbeere, etwas Zitrus. Stark und trocken, leichte Mineralität, kaum Säure. Einfach zu trinken und schwer zu entschlüsseln: ein Rosé für Roséverächter! Der 2018er aus Spätburgunder steht dem im Frühjahr 2021 aromatisch in nichts nach, wirkt ebenso kraftvoll, jedoch leichter. Im Duft Honig, Nougat, ein Lavendelkissen. Im Mund plötzlich säurestark und saftig mit feiner Erdbeernote, Orangenblüte, Pflaumenmus, Thymian, Kalk, sanfte Eichenholznote im Nachhall. Nicht allzu standfest gegenüber, sagen wir: mediterraner Küche, wirklich nicht süß und innerhalb der Rosé-Fraktion einer unserer absoluten Favoriten. Auch der 2013 "Prima Ballerina" Grauburgunder hielt sich nicht mit Vorgeplänkel auf: Anfang 2015 seiner Jugend wegen noch kantig, aber schön „birnig“, cremig auf der Zunge, salzig im Nachgang. Es hatte dann allerdings bis 2021 gedauert, bis wir die nächste Flasche öffneten. War das ein Problem für den Wein? Überhaupt nicht. Im Duft Aachener Printen, Lebkuchengewürz, Hustensaft, später Apfel, Erde. Im Mund ungeniert grünfruchtig mit schön vanilliger Holznote, kraftvoll, säurestark, fast schroff, nichts für empfindliche Mägen und in diesem Zweiklang von unbändiger Kraft und funkelnder Frucht einzigartig.
Folgt man der Boulevardpresse, scheinen Majestäten ziemlich schwierige Zeitgenossen zu sein. The King zum Beispiel, diesen trockenen, knochentrockenen, sandstaubtrockenen Spätburgunder von 2014, öffneten wir ebenfalls im Frühjahr 2021, und er hatte nicht die geringste Absicht, uns etwa eine Audienz zu gewähren, vielmehr zog er sich reich an Duft und noch mehr an Tanninen in seine Flasche zurück. Dort ließen wir ihn fünf Tage schmoren. Dieser Mangel an Respekt wirkte: es entwickelten sich Noten feuchter Walderde, Cranberries, Sauerkirsche, die zunehmend intensiver wurde und dabei ihren zunächst süß-marmeladigen Touch verlor, eine nicht störende medizinische Note zudem, im guten Nachhall ein Maul voller Gartenerde, sofern man das sagen darf, erdige Mineralik ziemte sich mehr. Wie gesagt: eine schwierige Majestät, die mit der 2021er Preisliste allerdings abgedankt hat.
Nachtrag im Frühjahr 2023: Abgedankt hin oder her. Unsere vorletzte Flasche öffneten wir im Frühjahr 2023 und müssen von unserer damaligen Wertung nichts wegnehmen. Immer noch der recht harte Wein mit seiner auf der sauren Seite stehenden Frucht und erdiger Note. Und wieder gilt: öffnen, dekantieren oder gleich vier, fünf Tage stehen lassen. Dann wird er seine Kanten abschleifen ohne in Altersmüdigkeit zu vergehen. Ein Wein, der seine Genießer im doppelten Wortsinne schafft.
Wir danken Albrecht Dörr für diese Empfehlung.