Seit der Gründung 1988 wuchs die Rebfläche auf 12 ha für ein Programm von über 30 Weinen zuzüglich Sekte von Riesling und Spätburgunder. Angebaut wird die klassische schwäbische Palette, so klassisch, daß bereits Cabernets, Portugieser und Gewürztraminer als Exoten gelten.
Bemerkenswert ist, daß wir es hier mit einem Biologielabor samt angeschlossenem Weingut zu tun haben. Oder umgekehrt. 2013 begannen die Merkles, in den Weinbergen vorkommende Wildhefen auf ihre Eignung zur Vergärung der Moste zu selektieren und auf die Verwendung von Reinzuchthefen oder die gängige Art der Spontangärung zu verzichten. Das tun zwar immer mehr Weingüter, kaum eines jedoch mit solch wissenschaftlich fundierter Akribie. Der Name "Wildspontan" verdeutlicht die Philosophie: Spontangärung ja, aber mit identifizierten Hefen aus dem Terroir der in Ochsenbach wachsenden Reben und nicht mit irgendwelchen zufällig im Kellerbiotop nistenden - eine nicht häufig zu findende Facette der Vinifikation im Labyrinth zwischen Orange Wine, esoterisch anmutenden Bereitungsmethoden, wo die Mondphase wichtiger ist als der Hefestamm, und der industriellen Massenproduktion in Laboratmosphäre. Es entstehen ziemlich eigene Weine, über die man umso heftiger streiten kann, je länger der Abend dauert.
Daß Trollinger nicht immer nur jung zu trinken ist, sondern ein gereifter - mindestens - ebenso großen Genuß schenken kann, ist bekannt. Merkles 2014 Trollinger Steillage macht im Spätsommer 2017 keine Ausnahme: rotfruchtig und von der herben, trockenen Art (zerbissene Johannisbeerkerne), nicht unbedingt voll, aber mit ordentlichem Nachgang, insgesamt guter Einstieg ins Programm. Den Trollinger-Lemberger lassen wir beiseite und widmen uns dem 2015 Muskattrollinger mit seinem reichem, sortentypischen Duft, dessen Aromenvielfalt sich im Mund fortsetzt: Muskat, exotische Früchte, aber auch Himbeere, eine spannende Kaffeenote, etwas Pfeffer. Kühl, aber nicht kalt servieren. Im Mund (nicht zu) süß, saftig, würzig, unbedingt trocken, kräftiger Abgang mit frisch-frecher Säure. Eine weitere Flasche öffneten wir - etwas zu optimistisch - erst im Frühsommer 2022. Dieser Wein war tot.
Beim 2014 Pinot Meunier "Hochebene" trocken handelt es sich um einen Schwarzriesling nach Burgunderart, sprich: einen recht vollen und langen, nur zurückhaltend süßen Wein, dunkelfruchtig, kräuterwürzig mit feinen Tanninen, einem Hauch von Barrique und sogar etwas Tiefe, staubtrocken und robust genug für beispielsweise Kurzgebratenes. Die schwarzrote Cuvee darf auch nicht fehlen: N°15 (o. J.), aus deren Zusammensetzung man ein Geheimnis macht. Klarer Cassis-Schwerpunkt, daneben Süßholz, Marzipan, schwarze Tinte, geröstete Kaffeebohnen, schöne Entfaltung von Vanille im Nachgang. Auf der Zunge samtig, einigermaßen dicht und mit noch so viel Säure, daß N°15 recht lebendig wirkt. Zwar ist der Wein nicht allzu tief, und er macht nicht den Eindruck, als könne er durch Lagerung an Charakter gewinnen, aber im Reigen der üblichen Begleiter zu "Wild, rotem Fleisch, rezentem Käse" undsoweiterundsofort muß N°15 sich nicht verstecken. Spätburgunder gibt es auch, und da wir Württemberger Spätburgundern immer mit Mißtrauen begegnen, dazu kennen wir zu viele von Ahr und Baden, lassen wir uns gerne von Weinen wie dem 2015 Spätburgunder Tonsteinmergel fruchtig überraschen: stark, direkt, animierend mit einer Spur bittersüßem Zimt, reifer Kirsche, vor allem aber Erdbeere satt! Und im Abgang knochentrocken.
Sie sind für uns die interessantesten Weine in Merkles Programm. Vielleicht entdeckte man auf irgendeiner Blüte, an irgendeinem Grashalm die wirklich idealen Wildhefen für den Lemberger, wogegen man nach der passenden Spezies für zum Beispiel Riesling wohl noch sucht, aber dazu später. Nicht weniger als fünf Lemberger hoher Qualität, aber ganz unterschiedlichen Stils versammeln sichhier, und die Wildspontan-Philosophie scheint uns hier am deutlichsten, sprich: schmeckbarsten umgesetzt. Alle Weine wirken harmonisch, fast zahm, manchmal elegant, und das so sehr geschätzte Kräftig-Kantige, manchmal Widerspenstige des typischen Württemberger Lembergers fehlt. Aber das ist eher Herausforderung für das Marketing, weniger für die Kellerkunst, und so besetzt Merkle hier eine echte Nische.
Beginnen wir mit den beiden Süßen: 2015 Lemberger Alte Reben ausgesprochen süffig und fast so vordergründig süß wie Kirschkonfitüre, dick, adstringierendes Mundgefühl, durchaus mit kalkiger Mineralik und Tiefe, aber nicht eben facettenreich und insgesamt ohne rechte Spannung. 2014 Lemberger Tonsteinmergel fast trocken - was heißt "fast trocken": das der Wein eben nicht "trocken" ausgebaut ist und der Kunde mit einem Zuckerschwänzchen rechnen darf. Das schleppt dieser rotfruchtige Tropfen dann auch hinter sich her, wenn er schnurstracks in Richtung Kirschlikör marschiert. Kräuter- und bittere Holznoten machen ihn interessant, stilistisch ist er angenehm weich, saftig und voll, ohne glycerinschwanger zu sein. Als Alleinunterhalter vielleicht ermüdend, eher der Begleiter einer rezenten Küche, die seine Frucht strahlen läßt und die er im Gegenzug bändigt, aber das gilt eigentlich für alle Lemberger von Merkle. Sehr viel anspruchsvoller die trocken ausgebauten Weine, zum ersten der 2015 Lemberger Steillage trocken: voll von herben roten Früchten und saftig grünen Kräutern, ergänzt durch einen Hauch von Zimt, scharfen Gewürzen, fetter Vanille und bitterem Kakao im langen, trockenen Nachgang. Heiß und dennoch schmeichelnd; ein Wein in früher Jugend, dem man noch Lagerzeit geben könnte, wenn man sich zurückhalten kann. Oder die 2015 Lemberger Spätlese trocken Löwenportal: so stellen wir uns einen Spaziergang im Herbstwald vor, wo hin und wieder ein Hauch Restsommerwärme entgegenweht, rote und blaue Früchte duften, aber immer auch Würziges, Bitteres in der Luft liegt. Wer keinen Wald in Reichweite hat, kann sich Himbeermarmelade vorstellen, aber eine selbstgemachte, und exotische Gewürze. Auf der Zunge intensiv und täuschend leicht, im Früjahr 2016 noch etwas hitzig. Kompromißlos trocken, und je kleiner der Schluck, desto staubtrockener und süßer entfaltet sich der Wein, um schließlich fast endlos präsent zu bleiben.
Zum 2011 Lemberger trocken Seguin Moreau. Anja Merkle rät, die zu diesem Wein passenden Gäste sorgfältig auszusuchen oder sich ganz einfach selbst damit zu belohnen. Große Worte. Und ein großer Wein für Württemberg. Satter, buttriger Duft. Im Mund weich, ein Teppich aus Bourbon-Vanille, schwarzer Johannisbeere, prallen schwarzroten Kirschen und frischem Lorbeerblatt legt sich über den Gaumen. Wir probierten den Wein mit Trüffelcamembert aus der Hofpfisterei Ludwigsburg, und er wurde zuckersüß, ließ aber auch im Kampf mit anderen Käsesorten, mit Brot, Oliven, Weintrauben, Senfsaucen nie Zweifel daran, wer am Tisch ganz oben sitzt. Er muß wirklich kein GG fürchten und macht noch nicht mal den Eindruck, als stünde er im Herbst 2017 auf der Höhe seiner Entwicklung. Benannt ist der Wein nach der Tonnellerie, in deren Fässern er reift, und er ist Musterbeispiel für einen Wein mit ganz deutlichen Holznoten, die in Perfektion eingewoben sind. Andererseits: die Schmerzgrenze dessen, was man für einen Lemberger investieren möchte, ist hier erreicht.
Aber solcher Schmerz vergeht mit den Jahren, man nennt das wohl Amortisation. Im Spätherbst 2022 amortisierte sich unsere letzte Flasche, und es wird die letzte bleiben, denn Merkle führt den Seguin nicht mehr. Dick, noch schwerer und noch seidiger als fünf oder acht Jahre zuvor, die schwächer gewordene Aromatik verschob sich vollends ins Schwarze, Brombeere, Tabak, Blut, aber immer noch quicklebendig und ohne jede Altersmüdigkeit. Großes Zeug.
Daß es sich beim 2014 Müller-Thurgau Hochebene nicht um einen saftigen, gelbfruchtig-fetten Weißburgunder handelt, der einen Teil seiner Reifung im Holz verbrachte, ist nach der ersten duftigen Begegnung überraschend, und auch seine kräftige Farbe sticht aus dem blassen MT-mainstream leuchtend heraus. Im Mund schöne Entfaltung süßer Frucht mit kräuterherben Noten und etwas Vanille; frische Säure und ein salziger Akzent im Abgang. Daß der Wein dann recht schnell weg ist, verzeihen wir ihm. Ein köstlicher und eindrucksvoller Müller, der auch wärmere Temperierung wegsteckt.
Wir probierten noch die 2015 Riesling "Stubensandstein" und 2016 Riesling "Steillage" trocken sowie aus der Dessertfraktion den 2016 Gewürztraminer mit Riesling. Die Rieslinge nahmen uns mit auf eine Reise in die Vergangenheit, zu einem Siebziger Jahre-Stil, auf den wir leider gar keine Lust haben, der irgendwie aber nicht aus der Mode kommen will. Durchweg spritzige, lebendige, sogar verspielte Weine, uns aber viel zu süß, andererseits für das Dessert wiederum zu leicht. Der süße Gewürztraminer mit Riesling spielt diese Rolle besser, wobei uns scheint, der Riesling herrscht in dieser Komposition vor. Daß Gewürztraminer mitmischt, muß man also vorher wissen, vielleicht steuert er etwas Weichheit und den blumig-süßen Akzent bei. Aber nein, Merkle hat seine Asse bei diesen besonderen Lembergern und den anderen Roten. Mit Ausnahme des ungewöhnlichen Müller-Thurgaus besorgen wir uns Weiße woanders.