Verzettelung ist Ralph Kirchners Sache nicht. Wo andere Pfälzer Winzer den Rebsortenkatalog rauf und runter anbauen, reichen ihm für seine rund 12 ha Riesling, Burgunder und wenige, heute regionentypische Sorten wie Portugieser und Saint Laurent. Daraus macht er stilistisch schlanke und aromatisch kräftige Weine, die sofort zugänglich wirken und geradezu lehrbuchhafte Sortencharakteristik zeigen. Das Programm von über 40 Positionen ohne Sekte und Brände ist nach VDP-Schema gegliedert: Gutsweine, Orts- und Lagenweine, wie sich das immer mehr durchsetzt, und Kirchners Marketing wirbelt die harmonische Freinsheimer Szene gehörig durch.
Auxerrois mag in Frankreich guten Ruf genießen, aber hierzulande handelt es sich selten um mehr als wässrige Ethanollösung. Den 2013 Auxerrois trocken wählten wir also, um Vorurteile bestätigt zu bekommen, doch dieser frische, fruchtsüße, leicht cremige Wein überrascht. Aromenexplosionen oder kristalline Mineralität darf man nicht erwarten, wir haben ja keinen Riesling im Glas, aber er ist ein Terrassenwein par excellence, der gegrilltem Gemüse und weißem Fleisch problemlos widerstehen dürfte. Eine Geschmacksliga höher spielt der 2013 Chardonnay trocken mit seiner Apfel-, Birnen-, Nuss- und Butterkeksaromatik, der sich mit gewisser Schwere auf den Gaumen legt. Präsente, gut eingebundene Säure macht ihn saftig, läßt ihn schlank wirken, und sie eröffnet ihm die feine Fischküche: eine Kunst, nicht unbedingt für Chardonnay geschaffen. Bei diesen handwerklich perfekt gemachten Tropfen kann man andere gerne links liegen lassen: 2013 Merlot blanc de noir trocken - reiner l'art pour l'art, und den lieblich-vergnüglichen 2014 Morio-Muskat - Müller-Thurgau in der Literflasche nehmen wir einfach mal so hin. Wie die meisten Modesorten der süßen Siebziger sollte auch Morio-Muskat aus den Weinkarten getilgt werden. Unser Bindestrichwein hier ist handwerklich ebenso gekonnt wie die anderen Kirchner, aber er wirkt deplatziert im Programm, wie ein Überbleibsel aus gar nicht so alten Genossenschaftszeiten. Gelungen der 2019 Weißburgunder trocken mit kalkweißem und süßfruchtigem Duft, wir fühlten uns an Gummibärchen erinnert, angenehmer, gelbfruchtiger Süße im Mund, feine mineralische Bitternote. Insgesamt sehr zurückhaltende Aromatik, und dann überrascht der intensive, heiße, saftige und fruchtige Nachhall umso mehr. Schließlich zum 2019 Grauburgunder trocken "Freinsheim": es mag sein, daß Grauburgunder eine minderwertige Sorte ist und nichts für Weinkenner, wie wir neulich lasen - obwohl wir weder wissen, warum Grauburgunder eines hervorragenden Weingutes minderwertig sein soll noch was ein "Weinkenner" ist. Dem Genießer jedenfalls, der eine gerade noch unkomplizierte, ungeniert fruchtig-süße und trotzdem facettenreiche, unheimlich saftige, (beinahe) unendlich anhaltende Belohnung nach einem anstrengenden Tag sucht, empfehlen wir Kirchners Interpretation uneingeschränkt.
Schon der 2014 Riesling Buntsandstein trocken aus der Serie der Gutsweine beweist, daß Kirchner eine heiße Riesling-Adresse ist. Mit der Hypothek eines schwierigen Jahrgangs gelang ein überraschend intensiver, gelbfruchtiger und floraler Weißwein mit leiser Mineralität. Süffig, saftig; kräftige Säure, aber längst nicht so dominant, so einseitig beißend wie bei den 14er-Weinen vieler anderer Erzeuger, denen die Reben auch verhagelt, verregnet, verpilzt wurden und wo die Lese eher den Charakter einer Notrettung denn einer geordneten Ernte hatte.
Dann die Lagenweine: dem 2013 Terra Petra Riesling spendiert Ralph Kirchner Holzausbau, was für Tiefe und innerhalb der gelbfruchtig-süßen Harmonie für einen kraftvollen, weckenden, aber stets sanften Akzent sorgt. Stilistisch gerade noch leicht und darum nicht weniger hochklassig, vollmundig, mit feinster Säure, saftig, süffig, gelbfruchtig mit starker Wachsnote und lodernder Mineralik und - wie es sich gehört für einen solchen Wein - im Nachhall sehr lang. Im Sommer 2017 mit sich zart entfaltender und immer faszinierender Petrolnote - im Herbst 2022 erwachsen, wasserziehend, süß, einlullend, kaum bekommt man genug davon. Und Kirchner packt noch eins drauf, besitzt das Weingut doch Parzellen innerhalb der sonnenexponierten Spitzenlage "Saumagen", westlich von Kallstadt. Sie liefern die Beeren für den 2013 Saumagen Riesling, Kirchners sommerblumenduftiges Spitzenprodukt, einen stilistisch feinen, grazilen Wein, der sich in seiner Aromatik keine Schwäche leistet. Seidenweiche Säure, extrem feine Mineralität, eher untermalend als prägend, aber wenn der Wein sich anschickt, die Kehle hinunterzugleiten, da wird er plötzlich füllig, fast cremig, kräftig, intensiv, verabschiedet sich mit einem Rosinentouch - mit einem Wort: fordert ganze Aufmerksamkeit. Wir erinnerten uns bei der ersten Begegnung an Michael Broadbents Diktum: es gibt Weine, die das Gespräch begleiten, und es gibt Weine, die zum Gegenstand des Gesprächs werden. Der Saumagen Riesling gehört in die letztere Kategorie. Im Frühjahr 2021 wird der Wein ganz langsam müde. Immer noch saftig, perfekte Balance zwischen sonnengelber Frucht und geschliffener Mineralität, die Spritzigkeit schläft jedoch sanft ein.
Während die Weißweine, auch der Chardonnay, fein und transparent wirken, sind die Roten von anderem Kaliber, und das gilt selbst für den Rosé: 2013 Spätburgunder Rosé trocken, im Duft Rosen, rote Grapefruit, Erdbeere, im Mund herbe rote Früchte mit einem Hauch weißen Pfeffers und einem erdigen Ton, was dem duftigen Wein Bodenhaftung verleiht und ihn herzhaft macht. Im Stil trockener als erwartet, vollmundig, animierend und sehr lang im Nachgang - ein ungewöhnlicher Rosé. Der 2013 Spätburgunder trocken wurde uns als "leichter Einstiegswein" angekündigt. Wir sehen ihn jedoch eher als Handgranate mit gezogenem Splint. Im Duft süßes, mit Zimt gewürztes Pflaumenmus, Preiselbeere. Im Mund würzig, rassig, streng: herbe rote Früchte, Kräuter, leicht bitterer Schwarztee, etwas duftiges Zedernholz. Stilistisch kräftig, sehr saftig, marschiert geradewegs in Richtung "schwer". Ein warm wirkender Wein für die herbstliche Stimmung, und der Einsteigerwein in Kirchners rotem Programm, aber definitiv nichts für Weineinsteiger. Zwei Jahre der Lagerung benötigte er, bis er sich ab 2016 etwas rundgeschliffen hatte und zahmer war; zum vergnüglichen Tropfen schlechthin wurde er allerdings nie, auch nicht, als wir 2019 die letzte Flasche köpften. Von gleicher Art ist der im Holzfaß gereifte 2013 Portugieser "Alte Reben". Portugiesertypisch von eigentümlicher Leichtigkeit, aber konzentriert, druckvoll, pfeffrig, rotfruchtig mit kräuterig-herben Akzenten, lange nachhallend. Auf zu vordergründige Holznoten verzichtet er und setzt mehr auf Typizität, wie das Kirchners Machart ist.