Ein Katzensprung trennt den Kaiserstuhl von der Region Tuniberg, Welten trennen aber die Stilistiken der jeweiligen Weine. Das Weingut Gretzmeier ist gutes Beispiel für den Tuniberger Typus, außerdem ein Muß für Freunde des herben Stils und für Entdecker ungewöhnlicher Rebsorten jenseits der üblichen Burgunder. Seit 1986 werden auf rund 10 ha recht komplizierte Weine angebaut; bestenfalls der Müller-Thurgau eignet sich zum Wegtrinken. Alle anderen Weine fordern mit geringen Alkoholgehalten, wenig Restzucker und hohen Säurewerten den Genießer heraus. Sie sind direkt, rustikal, streng und vielleicht anstrengend, lassen Feinheit und Geschmeidigkeit aber nicht missen. Auch viele Jahre nach unserem ersten Besuch sind wir immer noch der Meinung, daß Gretzmeiers Stärke bei den Rotweinen liegt, selbst wenn er viele interessante, komplexe Weiße anbietet.
Eine der ältesten Rebsorten Mitteleuropas. Weißer Elbling (es gibt auch eine sanftere rote Spielart) liefert säurestarke Weine und wird deshalb manchmal statt Weinsäure zur Anhebung des Säuregehaltes oder als Verschnittpartner säureschwacher Sorten verwendet. Da Elbling im Anbau unkritisch und genügsam ist, sollte er Standard in den Sortimenten ökologischer Weingüter sein, ist absurderweise aber kaum zu finden. Massenwein- und Agrarchemielobbies hatten ganze Arbeit geleistet: der Anbau der seit Jahrtausenden kultivierten Sorte wurde in den 1960er Jahren per Ministererlaß verboten, die Bestände wurden - meistens zugunsten des Müller-Thurgau - gerodet. Erst gegen Ende der neunziger Jahre begann dank eines neuen Qualitätsbewußtseins der zögerliche Wiederanbau. Gretzmeier bietet den Elbling heute im trockenen und halbtrockenen Stil an. Der 2011 Elbling trocken ist ein aromatisch starker, grünfruchtiger Wein, mit 9 Vol-% sehr leicht und dank feiner Mineralität und kräftiger Säure erfrischend: der klassische “Terrassenwein” - übrigens genossen wir den 11er auch im Frühsommer 2018 noch uneingeschränkt. Und haben sich die gerümpften Nasen in der Runde erst einmal beruhigt, wird man seine Lebendigkeit schnell schätzen. Im Vergleich ist der Gretzmeier bedeutend kräftiger und direkter als zum Beispiel die elegante Interpretation von Schloß Proschwitz aus Sachsen. Der Elbling hat es mit seiner Kantigkeit in unserer zuckerkonditionierten Spaßgesellschaft schwer. Gerade deshalb sollte man zugreifen.
Cuvees führt Gretzmeier unter der Bezeichnung “Zwulcher”, die nur für Einheimische zu entschlüsseln ist. Die 2011 Zwulcher weiß Cuvee aus Helios, Johanniter und Solaris vereint drei Freiburger Neuzüchtungen, die für sich genommen unspektakulär ausfallen. Die Cuvee ist apfelfruchtig mit gewisser Tiefe und von scharfer, kühler Frische. Interessanter Ausreißer aus der gleichförmigen Müller-Thurgau-Terrassenfraktion. Der rote Muskateller ist eine Mutation des bekannten gelben Muskatellers, konnte sich wegen seiner Empfindlichkeit, des geringen Ertrags und der in schlechten Jahren kantigen Säure aber nie durchsetzen. Gretzmeier bietet eine 2011 Roter Muskateller Spätlese halbtrocken an. Sie nimmt mit süßem Duft von Teerose ein, präsentiert sich geschmacklich jedoch herb, nur zurückhaltend fruchtig und verabschiedet sich mit langem, seidigem Nachgang. Aus der Palette der Spätburgunder: 2007 QbA trocken, 2007 Kabinett trocken und 2007 QbA “Alte Reben” (bis zu 50 Jahre alte Stöcke) sehen wir uns den Kabinett genauer an: im Duft zuerst Vanille satt, dann saure rote Früchte, frisch gespitzter Bleistift, frische Kräuter, etwas Speck. Seine Aromatik entfaltet sich wellenartig: Waldbeeren in einem feuchten Weidekorb, Nelke, gebratener Speck, weißer Pfeffer. Im mittleren Nachgang kommt die Vanille wieder. Stil: stark, schwer, zupackend, nicht samtig, nichts für Anfänger. Der Wein für die ungewöhnliche Grillparty, vielleicht ein Wintergrillen mit dem Schwerpunkt Wild. Schließlich bekommt der 2007 Merdinger Bühl Zwulcher Exclusiv Barrique trocken aus Regent, Spätburgunder und Cabernet Mitos eine besondere Erwähnung. 2011 beschrieben wir ihn als anspruchsvollen Gastronomiewein mit seiner Aromatik von Bourbon-Vanille, reifer Johannisbeere und feuchter Walderde. Das alles galt im Spätsommer 2017 immer noch, entfaltete sich aber gleichermaßen differenzierter wie gewaltiger. Im Duft bestach der Wein mit frisch aufgeschnittener Vanilleschote und ihrem bittersüßen Aroma. Hinzu kamen dunkle Schokolade, Zimt, Feuerstein, Gummi, gebratener Speck. Auch wurde der Wein mit zunehmendem Luftkontakt immer cassisfruchtiger; Kakao und Kräuternoten gaben den Abschluß. Schwer, alkoholisch, stark und fast aggressiv, er mußte wirklich keinen Gegner fürchten. Die samtige Jahrgangscuvee Cabernet Carol - Cabernet Cubin aus den 2006er/2007er Lesen mit ihrer starken grünen Paprikanote ist nicht mehr im Programm. Im Spätsommer 2020 öffneten wir einen 2016 Spätburgunder trocken aus der Literflasche. Im Duft Kirsche, etwas Zeder, Kräuternoten, im Mund weich mit feinen Säurespitzen, durchaus saftig und voll, kein leichter Wein. Dichte und weiche Textur, Schwarzkirschgelee, Erdbeere, etwas Zimt im noch ordentlichen Nachgang - absoluter Preis-/Leistungsgewinner. Und wen wir immer noch nicht davon überzeugen konnten, daß Gretzmeier-Weine Lagerpotential besitzen: zum Jahreswechsel 2023/2024 kam einer unserer letzten 2011 Spätburgunder trocken auf den Tisch. Farbe völlig unverdächtig, im Duft zunächst stark Herbstlaub, das sich nach und nach verflüchtigte, dann Erde, Speck, süßer Tabak und Leder, unbedingt trocken und durchaus rau im Mund. Feine, kirschfruchtige und animierende Süße, nicht zu kurzer Abgang - ein ehrwürdiger Wein!
Gretzmeiers Reserve H verdient einen eigenen Abschnitt. Nicht nur wegen der Ertragsbeschränkung auf sechs bis acht halbe Trauben am Stock oder der jahrelangen Reifung in erstbefüllten Fässern und weiteren in der Flasche, bevor der Verkauf beginnt: in punkto Aromatik, Fülle, Klasse kommen keine anderen Gretzmeiers an diese Weine heran. 2002, 2005, 2009 und 2012 waren bislang die Jahrgänge, die Heinrich Gretzmeier würdig erschienen, eine Reserve aufzulegen. Der samtig-dichte 2005er (2011er AP-Nummer) duftet nach reifer Zwetschge, nach Leder, Weihrauch, weißem Pfeffer, im Mund eingelegten Zwetschgen und dunklen Kirschen. Und er will erobert werden - der präsente Alkohol zerrt am Gaumen, um sich weich zu verabschieden. Langer Nachgang mit herben Barrique-Noten - so lang, daß jeder Schluck das Vorspiel für den nächsten ist. Bei einigen Flaschen des 2005ers zeigten sich 2012 erste, unkritische Altersnoten, andere, im Frühjahr 2014 geöffnet, waren perfekt. Paßt auch gut in den Kochtopf: eine Flasche als Soßengrundlage für die Rouladen klassischer Art - vorsichtig mit Creme fraiche eingefangen, ließen Alkohol und Säure die Gemüsearomen der Soße strahlen, die fruchtige Süße des Weins rundete ab, das mürbe Rindfleisch gewann durch die kräftigen Tannine an Intensität. Und die zweite Flasche spielte die perfekt passende Begleitung. Nachtrag Spätherbst 2015: feurig, florale Noten, ragte in einem Quervergleich mit einigen reifen Piemontesern immer noch heraus.
Und der 2012er? Er trägt eine 2018er AP-Nummer, und unsere erste Flasche davon öffneten wir im Frühsommer 2020. Wunderbar dunkelfruchtige Aromatik mit Sauerkirsche, Cassis, einem Hauch Zimt, Rosmarin, extrem dicht mit weichem Trinkfluß, aber auch sehr alkoholisch und immer noch zu verschlossen. Weiterhin abwarten.
2012 Ruländer Spätlese mild: ein Grauburgunder, nach 1970er Art gekeltert. Im Duft noch recht frisch, grüner Apfel, im Mund dann überraschend flach. Natürlich mit 80 Gramm Restzucker sehr süß, macht aber eher den Eindruck von weißem Traubensaft ohne alkoholische Note, was bei nur 8 Vol-% auch kein Wunder ist. Braucht ein fruchtiges Dessert als Stütze und wird dann voller und spritziger. Mit der Temperierung ist er etwas toleranter als die 1998 Müller-Thurgau Beerenauslese: aus einem langen Sommer hervorgegangen, wo Föhnwinde die Trauben auf 200 Oechsle hochkochten. Wirkt nicht allzu ölig oder schwer, manchem aber zu leicht, ist sehr weich, üblich rosinen- und walnußfruchtig und benötigt konstante Kühlung, sonst zerfließt sie.