Beschäftigt man sich mit diesem Weingut, denkt man besser groß. Das Hauptgebäude, 2017 neu bezogen, erinnert an eine Logistikzentrale oder einen Unterstand für Tornado-Jagdbomber. Aus 31 ha Anbaufläche mit dem Pfälzer Standard und der ein oder anderen Überraschung gewinnt man sage und schreibe 74 Positionen auf der Weinliste zuzüglich bubbles und einiger entalkoholisierter Getränke. Das Programm ist nicht etwa in eine Qualitätspyramide gegliedert, sondern man muss eine Matrix durchdringen, um es zu verstehen. Kundenservice und -beratung: so perfekt, wie man es von Großbetrieben stets erhofft und meistens bekommt. Die Weine, nun… siehe unten. Aus dem Programm werden wir heute nur einen kleinen Teil kommentieren - weiteres muß und wird folgen.
Mit Müller-Thurgau zu beginnen um das Programm eines Weinguts kennenzulernen, ist immer eine gute Idee: kurze Standzeit, Edelstahlausbau, reine Primärfrucht, kein Holzeinfluss und Brimborium, da läßt sich wenig kaschieren. Netts 2021 Müller-Thurgau "Müller - Mayer -Schmidtist in Charakter und Aromatik ziemlich das Gegenteil der strengen Franken wie wir sie in unserer Hitliste loben: dort der erdverbundene Boskop, fest, robust, säuerlich frisch, hier Muskatwürze, weißblütenduftige Seligkeit und gelbfruchtige Süße mit einem touch Cabernet blanc. Saftig, schmelzig, und vor Ort gerne auch als "Schorle" genossen, was wir für ein Sakrileg halten, was aber irgendwie von lokalpatriotischer Bedeutung zu sein scheint. Wie so oft bei modernem Müller-Thurgau qualitative Spitzenklasse zum Schleuderpreis.
Wir setzten bei Ringle-Roth den Abgesang auf eine aussterbende Sorte fort, stellten dort jedoch fest, daß immer wieder Überraschungen auftauchen - hier kommt gleich eine große: 2018 Kerner trocken aus der "Tradition"-Serie (auf deren Flaschen die schönen alten Etiketten überleben). Süß natürlich, sehr süß sogar, ein vollmundiger Sattmacher, unbändig kraftvoll, das heißt, um passende Begeleiter braucht man sich keine Sorgen zu machen. Apfelfleisch, Fenchel mit seiner bittersüßen Note, ständig animierende Schleifpapiersäure sorgt für Schmelz, Schwund und garantierte Diskussionen um die letzten drei Zentimeter in der Flasche. Das alles - wie beim Müller-Thurgau - zu einem Preis, der die Wertschätzung der Sorte widerspiegelt: viel zu gering.
Zudem gibt es einen ganz bemerkenswerten Muskateller, der den Klassikern des Kaiserstuhls mächtig Konkurrenz macht. Im Duft Waldhonig, Muskatwürze, getrocknete Feige, im Mund Rosenblätter, frisch, stark, voll und füllig. Für einen Terrassen- geschweige Vormittagswein scheint er uns zu mächtig, braucht deshalb starke Begleiter aus der west- oder ostasiatischen Küche, aber wir vermuten, daß er als Solist mehr Vergnügen bereitet.
Eine der zahlreichen Produktlinien im Programm: "Concept"-Weine, darin neben einigen Roten, der 2021 Chardonnay trocken „Surfing“, ein fester, saftiger Chardonnay mit klarem, uns zu prominentem Muskatellereinschlag, auf der süßen Seite stehend. Schönes Etikett mit Sandstrand, blauem Himmel, Meereslinie am Horizont, vorne der Bully samt Surfbrett auf dem Dach, die Manson family weit weg, alles wunderbar. Der unverstellte, vergnügliche Wein für die Strandparty oder jede andere Form von Geselligkeit. Als Chardonnay jedoch kaum ernst zu nehmen, und der Wein hat dafür auch nicht den Anspruch.
Nebenbei macht diese Serie mit ihrer beeindruckend schönen Gestaltung klar, wie wichtig professionelles Etikettendesign - Nett beauftragte dafür eine Werbeagentur und nicht die schlechteste -, für modernes Produktmarketing in der Weinwirtschaft ist. Man schaut einfach gerne hin. Und dann greift man zu. Mission erfüllt.
2021 Pinot Noir „Skiing“ Süßer, samtiger und fülliger als der „Skiing“. Im Duft Camembert und der südliche Kräutergarten, Orang im Nachhall.
2019 „Biking - Leib und Seele“ Rotwein:
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