Vor-Vorbereitung

  1. Youtube-account oder Konferenzsoftware - das ist hier die Frage. Ist sie geklärt, gehts los - mit der Vor-Vorbereitung.

  2. Gerade in Weingütern sollte es kein Problem sein, ein schönes setting (zu Deutsch: Drehort) zu finden.

  3. Draußen drohen Wind und Wetter, Entfernungen scheinen größer, sodaß nur Nahaufnahmen möglich sind, die Beleuchtung zwischen Mittagssonne, Abendrot und Bewölkung stemmen nur Profis, und wer den Ton nicht professionell abmischen kann, hat sowieso verloren. Bleiben wir drinnen.

  4. Die Technik an sich stellt heutzutage keine Herausforderung mehr dar. Schlimmstenfalls irritieren Hall, übersteuerte Mikrophone, und grelle lightboxes lassen die Protagonisten aussehen wie Bela Lugosi.

  5. Oder verzichtet auf lightboxes und seht aus wie Boris Karloff.

  6. Die Kamera muß ruhig bewegt werden. Verfügt man nicht über einen Profi, der das kann, schraubt man das Ding auf ein Stativ und läßt es in Ruhe.

  7. Lebendig wird das Ganze mit mehreren Einstellungen, sprich Kameras, und nein: die kosten heute so gut wie nichts mehr.

  8. Gute Mikrophone hingegen kosten Geld, und das hat seinen Grund.

  9. Alles kann man übrigens mieten.

  10. Bei mehreren oder beweglichen Kameras allerdings braucht man eine Regie. Aber glaubt uns, Ihr braucht sie so oder so. Allein um das Skript der Veranstaltung umzusetzen. Ja, auch das ist nötig. Nein, ohne geht es nicht.

  11. Es sei denn, Ihr seid so ganz coole Socken oder wie die Amerikaner sagen: "a salty dog". Im Zweifel lieber aufschreiben:

  12. Wer steht und sitzt wo und wann, was wird wann wie lange gemacht, wer schenkt ein, wer reicht die Flasche weiter, wohin mit dem Wein oder wollt Ihr alles austrinken, wohin mit leeren Flaschen, was steht eigentlich auf dem Tisch - der große Spucknapf etwa? Und überlegen:

  13. Was tun, wenn ein Glas entzwei- oder ein Schluck danebengeht - entweder auf die Seidenbluse oder in die Luftröhre. Youtuber haben den Vorteil, daß die Veranstaltung aufgezeichnet und zur Not geschnitten werden kann.

  14. Vorsicht bei weinbegleitendem Essen. Menschen bei der Nahrungsaufnahme zuzusehen ist ein begrenztes Vergnügen, und dauernd läuft jemand durchs Bild um aufzutischen und abzuräumen.

  15. Und denkt daran, den Friseur zu besuchen und Euer Outfit mit dem Hintergrund abzustimmen. Aber das gehört schon zu den Profi-Tips.

  16. Ein testshooting hilft, ein Vorab-soundcheck auch.

  17. Den Zuschauern wiederum hilft, wenn sie einen funktionablen Zugangslink erhalten (nein, http und https sind nicht dasselbe), vielleicht sogar rechtzeitig vor der Veranstaltung. Und wenn Euer Video unbedingt den Chrome braucht, dann teilt gefälligst vorher mit, daß der Mist auf Firefox oder Safari nicht läuft.


  18. Vorbereitung

  19. Gewöhnt Euch daran, vor der Kamera zu stehen (vulgo: Lampenfieber). Hände in der Tasche sind schon im Alltag eine schlechte Idee, auf der Bühne ganz schlecht, weil sie verraten, daß Ihr jetzt am liebsten in einem dunklen Loch verschwinden würdet.

  20. Apropos: man steht oder man sitzt. Man läuft nicht hin und her.

  21. Was selbstverständlich scheint, ist es bekanntlich ja nie. Korrekte Haltung und zivilisierte Sprache sind Ausdruck des Respekts vor Gästen und Zuschauern.

  22. Wer beim Thema "Haltung" etwas dazulernen möchte, schaue Fußballern im "Aktuellen Sportstudio" zu und mache dann das Gegenteil. Beispiel:

  23. Man sitzt möglichst nicht auf einem Drehstuhl. Ohnehin sollte die Sitzgelegenheit nicht allzu bequem sein. Das schützt vor "Fläzen".

  24. Die Arme verschränken? So wie in einer Polizeivernehmung?

  25. Seriosität hat nichts mit Steifheit zu tun, sondern mit Glaubwürdigkeit. Oder ist Euer Wein ein Spaßgetränk, ein Alkopop, das niemand ernst nimmt?

  26. Eine junge, lebendige und frische Veranstaltung erschöpft sich nicht im Gebrauch von Vokabeln wie "hey", "geil", "ne Pulle durchziehen" oder Grunzlauten wie "häh" oder "gäh".

  27. Was soll man eigentlich sagen, wenn man nicht mit dem öden "Willkommen..." beginnen will? Einen Spruch auswendig lernen? Nein, wir sind nicht bei der Konfirmation. Das am Häufigsten gemurmelte Wort bei derlei Veranstaltungen: "Ähm", das zweithäufigste: Jaaa...", danach Stille. Wißt Ihr, wie endlos fünf Sekunden Stille sind?

  28. Worüber wollt Ihr sprechen? Die Frage ist nicht trivial. Über das Weingut, dessen Geschichte, den Wein im Glas, die Rebsorte, das Terroir des Weingartens, die Kunst der Vinifikation, der Verkostung? Vielleicht Privates? Wo und wie lerntet Ihr Euch kennen und lieben? Wen außer Euch das wohl interessiert? Und wo wollt Ihr aufhören, bevor die Zuschauer psychisch und physisch abschalten?

  29. Den Zuschauern teilt man im Vorhinein mehrmals deutlich mit, welcher Wein genau nun probiert wird. Die Flasche eine Sekunde lang in die Kamera zu halten ("Der ist jetzt dran"), ist dämlich.

  30. Wer vorab eine Probenliste verschickt, möge auch die Verkostungsreihenfolge daran orientieren. Die steht ja auch im Skript.

  31. Apropos Reihenfolge: Die meisten Zuschauer werden sich zusammen mit Freunden zum event einfinden. Dazu gibts was zu essen, und selten beginnt man mit dem Dessert. Vielleicht ist es eine gute Idee, ausnahmsweise Rotweinen den Vortritt zu lassen. Der leichte Aperitif-Weißburgunder macht zum Braten kaum Spaß.

  32. Wer vorab Weinexposees verschickt, achte darauf, daß Moderator und eventuelle Gesprächspartner nicht etwas anderes erzählen als im Exposee steht: manche Kunden lesen es.

  33. Ideal wäre jedenfalls, wenn die Zuschauer etwas Substantielles über den Wein erfahren, den sie gekauft und im Moment in den Gläsern haben. Der Wein ist die Hauptsache, was viel zu oft vergessen wird. Und den wollt Ihr doch nochmal verkaufen oder nicht?

  34. Profis konzertieren und stellen komplexe Themen an den Beginn der Veranstaltung (siehe Skript). Zum Ende hin sind die Zuschauer blau, weil man bei online-Verkostungen mehr trinkt als beim Besuch im Weingut, und sie hören Euch auch nicht zu, weil sie untereinander palavern. Sechs Weine sind sowieso das Maximum für eine Veranstaltung und außerdem per Probierpaket gut zu verschicken.

  35. Und hört bitte auf, endlos über diesen einen Wein zu reden, der Euch so unendlich begeistert. Eine große Uhr hinter der Kamera, darauf Zehn- oder Fünfzehn-Minuten-Sektoren markiert, gibt die Orientierung. Oder die Regie zeigt an, wann Ende Gelände ist. Am besten beides.

  36. Wer sich darauf einläßt, per Konferenzsoftware mit der Kundschaft in Kommunikation zu treten, rechne mit jeglichen Fragen: da mag der eine Zuschauer wissen wollen, bis zu welcher Temperatur sich Anthocyane bei Kaltmazeration lösen, hinterher fragt ein anderer, aus welcher Rebsorte man Rosé macht.

  37. Zuschauerkommentare über die Weine sind selten sinnvoll und dies immer weniger, je weiter der Abend fortschreitet. Haltet es mit den Diplomaten. "Interessant" bedeutet dort "Quatsch". Diskussionen in diesem setting führen zu nichts.

  38. Apropos Gesprächspartner: sie sind aus vielen Gründen eine gute Idee. Nichts ist öder als einer einsamen Figur beim Vortrinken zuzusehen. Zu viele Figuren im Bild verwirren und ermüden jedoch, auch wenn sie sich abwechseln.

  39. Die Gäste darf man ausführlich vorstellen und nicht nur murmeln: „So, jetzt übergebe ich an Herbert“. Wer zum Teufel ist Herbert?

  40. Es hilft, im Vorgespräch zu klären, wer wann worüber spricht, vereinbart sozusagen die Spielregeln, zu denen auch gehört, das eigene Ego zurückzunehmen. Streitgespräche gehören zu "Anne Will". Obwohl: da finden ja auch keine mehr statt.

  41. Kompetenz der Gesprächsparter setzen wir voraus, sonst macht mans doch lieber alleine. Verzichtet deshalb auf eingekaufte "Instagram"-Stars, denen ihr Auftritt wichtiger ist als Eure Weine und Kunden.

  42. Noch eine gute Idee (nicht nur bei der Online-Verkostung) ist, die Gesprächspartner ausreden zu lassen.

  43. Davon wird nur abgewichen, wenn jemand von seiner eigenen Brillanz hinweggerissen wird (vulgo: Geschwätz) oder wenn er im Satz steckenbleibt, den Faden verliert, nicht weiter weiß, zu transpirieren beginnt. Es sei denn, Ihr mögt ihn nicht, dann soll er braten.


  44. Pausengestaltung

  45. Gönnt Euren Zuschauern etwa einmal pro halber Stunde vier, fünf Minuten fürs Austreten und Euch zum durchatmen, durchschütteln, neu konzentrieren. Wann genau, steht im Skript. Wenn Euch dafür die Zeit zu knapp ist, nehmt einen anderen Termin. Andererseits muß man den flow nicht alle fünf Minuten unterbrechen, damit der eigens engagierte DJ (siehe unten) endlich auftreten kann.

  46. Wie man Pausen füllt? Das steht im Skript: mit einer abwechslungsreichen slideshow hervorragender Fotos (wer besitzt die Bildrechte?) samt countdown, damit die Zuschauer wissen, wann es weitergeht. Massenkompatible Musik ist eine Möglichkeit (Achtung: GEMA). Keine Möglichkeit ist, einfach zu verschwinden, und die Zuschauer mit einem leeren, stillen Sofa zurückzulassen...

  47. Oder wie wäre es, die Spendenadressen für die Winzer im Ahrtal einzublenden?

  48. Wer glaubt, einen "DJ" engagieren zu müssen, nimmt dann auch Geld in die Hand und verzichtet auf Freizeitplattenaufleger a la "DJ Stift".

  49. Zu Beginn oder Zwischendurch ein Video? Sicher. Wenn es nicht mit dem Smartphone des Enkels gemacht wurde und etwas anderes zeigt als sich im Wind wiegende Weinblätter.

  50. Youtube-Kommentarfelder übrigens lenken vom Hauptthema ab, unterbrechen den Fluss, die Kommentare sind selten interessant und öfters dämlich („Huhu aus Erkenschwick“). Nie vom eigenen Vortrag ablenken und auf irgendwelchen peripheren Quatsch hinweisen, auch nicht in der Pause. Danach muß man die Aufmerksamkeit seines Publikums von Neuem einfangen.

  51. Und wie lange soll das Event dauern? Hier schlagen wir Pragmatik vor: wenn alle Weine vorgestellt, Zuschauerfragen, -kommentare und offensichtlich -interesse versickert sind, kann man sanft und freundlich Schluß machen.

    Bevor wir es vergessen...

  52. Kürzlich erlebten wir eine eingekaufte Moderator*in, die nach dem fünften Glas ganz offensichtlich blau war (Gruß an die "Weinkundschafterin". Na, schon wieder nüchtern?). Somit:

  53. Um Gottes Willen nicht zuviel trinken! Gerhard Schröders Auftritt in der "Elefantenrunde" ist keineswegs ein Vorbild. Nippen hält den Geist klar, und man mutet dem Publikum nicht Anblick und Akustik eines Spucknapfs zu.