2021 geht zuende. Fast alle sind geimpft, immer mehr werden trotzdem krank, wenig hat sich geändert, wenig gebessert. So werden wir auch 2022 nicht an online-Weinproben vorbeikommen. Hier die versprochenen Tips für jene, die noch den letzten Meter zur Perfektion zurücklegen wollen.
Wir werden viel über Stilfragen sprechen. Denn die Vortragenden im Bild sind die Visitenkarte des Weinguts und seiner Weine, und diese Visitenkarte muss perfekt sein. Los gehts.
Nur die Totale (Vollformat) und die Halb-Totale stehen zur Wahl. Alles andere gehört nach Hollywood. Wir plädieren für Halb-Totale hinter einem (sauberen) Tisch oder Tresen, auf dem Gläser und Flaschen arrangiert werden und der außerdem Platz lässt für ein oder zwei Gäste. Die so beliebten Weinfässer sind aus vielen Gründen suboptimal. Weg mit überflüssigem Deko-Kram, auch die Hauskatze soll sich trollen. Fokussierung ist Trumpf: zwingt die Zuschauer zum Wesentlichen.
Hinter einem Tisch oder Tresen brauchen sich die Vortragenden über positive, neutrale oder negative Körperzonen keine Gedanken zu machen, sprich: wie gehe ich - wie stehe ich - wie bewege ich mich, wohin mit meinen Armen und Beinen, man-spreading oder verschachtelt?
Man steht hinter diesem Tisch. Oder man sitzt und wirkt wie ein Zwerg.
Wer sich in aber in seiner ganzen Pracht präsentieren will, übe seine Bewegungen solange ein, bis sie locker und fließend aussehen. Dabei stelle man sich der Kritik von Familie und Mitarbeitern. Das senkt später das Lampenfieber vor der Aufnahme.
Gleiches gilt für eine feste, klare Stimme und verständliche Sprache. Auch das kann und muß man üben.
Apropos: üben, proben, testen, testen, üben, proben. Nur Laien glauben solch ein event aus dem Ärmel zu schütteln. Deren Ergebnisse erzielen dann auch regelmäßig einen hohen „cringe-factor“. Und nur das Üben hilft gegen Lampenfieber.
Winzerinnen und Winzer verkörpern Können, Leidenschaft, Authentizität, das aber bitte mit Stil. Der Weinmacher braucht in unseren Breiten weder Krawatte noch Einstecktuch, die Winzerin keine lackierten Fingernägel, 12 cm-Absätze oder Vierkaräter an der schlanken Hand. Das überläßt sie der Beraterin auf Ch. Margaux. Man kann aber ruhig eine dunkle Hose oder Rock aus dem Kleiderschrank kramen und nicht jene Klamotten anbehalten, in denen man eine Viertelstunde zuvor noch den Hof fegte.
T-Shirts sind bei jungen Leuten völlig in Ordnung, wenn sie nicht große Logos oder irgendwelche Schriftzüge tragen, die ablenken oder in dem Set völlig widersinnig sind („Enjoy Coca-Cola“). Nur das stolze Familienwappen oder der Name des Weinguts zieren das T-Shirt.
Menschen in fortgeschrittenem Alter sollten zu Hemden beziehungsweise Blusen greifen. Große bunte Muster sind tabu. Frisch gewaschen und gebügelt (gilt nicht nur für Hemden und Blusen) versteht sich (leider noch nicht überall) von selbst. Wer sich in der Totale, zum Beispiel in einem Sessel, präsentieren will, verbrennt die weißen Socken und bringt die schwarzen Schuhe auf Hochglanz.
Adlige Weingüter müssen sich einer ganz anderen Problematik stellen: Freifrau von soundso verkauft nicht nur Wein, sondern die vielleicht jahrhundertealte Geschichte einer Familie. Das aber kann in diesem Feature nicht das Thema sein.
Auch gestandene Mannsbilder dürfen sich einer Maskenbildnerin anvertrauen. Anschließend überläßt man die Lichteinstellung (Scheinwerfer, lightboxes) den Profis und testet sorgfältig, damit man nicht glänzt wie eine Speckschwarte. Für Nahaufnahmen unterziehe man sich der Maniküre.
Der Friseur kümmert sich um Kopf- und, wenn vorhanden, Gesichtsbehaarung.
Eine Nackenmassage kurz vor dem Auftritt entspannt und erfrischt, und wirklich: man sieht den Unterschied.
Für alles plane man entsprechend Zeit ein. Nicht umsonst dauert die Vorbereitung einer Modenschau Stunden und der walk selbst vielleicht eine Minute. Ja. Wir sind hier nicht bei einer Modenschau, aber warum nicht von den Profis lernen.
Kontrast mit dem Hintergrund herstellen. Wahrscheinlich erinnern sich die wenigsten an den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 1960, genauer: an das TV- Duell zwischen John F. Kennedy und Richard M. Nixon am 26. September in jenem Jahr. Während Kennedy, ganz Ostküsten-Establishment, im dunkelblauen Anzug eine nahezu perfekte Figur abgibt, geht der verschwitzte, verklemmt wirkende Nixon im hellgrauen Outfit vor hellgrauem Hintergrund optisch und rhetorisch unter. Man sehe nur, wie er dasitzt. Das Ergebnis ist Geschichte, vor allem für JFK.
Achtung: Scheinwerferlicht, Alkohol und die eigene Anspannung heizen gehörig ein. Besser eine Lage weniger anziehen. Auf Schweißflecken weist die Regie in der Pause hin. Dann wird das Hemd gegen ein identisches (!) getauscht.
Neulich wieder erlebt: die vier obersten Knöpfe offen. Nur das Goldkettchen fehlte noch. Zuviel Abkühlung bringts also auch nicht.
Dialekt? Kein Problem. Angestrengtes Hochdeutsch, wo man net beherrschen tut? Schlecht.
Darf man von einem Spickzettel ablesen? Radio Eriwan sagt: Im Prinzip ja. Mit Stichworten, als Gedankenstütze: kein Problem. Ablesen wie beim Schulaufsatz: schrecklich. Wer sollte Eure Weine besser kennen als Ihr selbst. Braucht Ihr wirklich einen Zettel dafür? Es ist grundsätzlich aber gut, irgendetwas in den Händen zu haben. In der Regel wird das ein Glas sein. Manchmal aber, vor allem in der Totale, wollen Arme und Hände im Zaum gehalten werden. Nur Verkehrspolizisten gestikulieren. Ein Karton, auf dem nichts steht oder auch nur: „lächeln!!“, reicht aus. Ruhige Arme und Hände wirken gelassen, souverän, kontrolliert. Genau jene Eigenschaften, die wir von jemandem erwarten, der unsere Lebensmittel erzeugt.
Gefahr: man schaut andauernd auf den (leeren) Zettel, weil man sich nicht traut, in die Linse zu blicken. Zwingt Euch (Stichwort: üben). Es gibt keine Rettung, auch nicht von den Leuten hinter der Kamera, zu denen man immer wieder schielen möchte. Es hilft, sich klarzumachen, daß das Publikum einfach einen etwas netteren Abend als vor dem Fernseher verbringen und idealerweise noch etwas lernen möchte. Niemand will Dir Böses. Und es gibt hier und jetzt nur eine Expertin, nur einen Experten: Du bestimmst das Spiel.
Handy aus. Dasjenige irgendwo hinten in der Büroschublade auch.
Hinter der Kamera warten helfende Hände, falls die Technik streikt, ein Glas entzwei geht, etwas verschüttet wird. Auf solche ärgerlichen Zwischenfälle reagiert man, als ob gerade ein Sack Reis umfiel, irgendwo in der hinteren Mongolei oder so. Testfrage: was tun, wenn einem der oben genannte Zettel entgleitet und sanft zur Erde segelt?
Aber: die Mannschaft hinter der Kamera ist Mucksmäuschenstill. Wenn sie ihren Job versteht, weiß sie das ohnehin. Geklapper, Geflüster, Gemurmel aus dem Off stören ungemein, ebenso wie Ellenbogen, Nasen oder andere Körperteile, die sekundenweise ins Bild ragen.
Und das war es. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen, keine unfreiwillige Komik wird Zuschauer und Konkurrenz erheitern. Sehr schön übrigens, daß die hier geschilderten Übungen in Stil und Selbstdisziplin in Zukunft bei jedem einzelnen Kundenkontakt äußerst nützlich sein werden.